Könntest du mir „Listenpreis“ näher erklären? Wo ist dieser zu finden, also wo kann der Endverbraucher diesen einsehen?
Der Listenpreis ist das, was Brompton den Händlern als Preis empfiehlt, die sogenannte UVP (unverbindliche Preisempfehlung). Gibt es bei sehr vielen Produkten. Eine Vorgabe eines Verkaufspreises wäre illegal, also ist es eben eine UVP. Bei vielen Produkten ist die eher erheiternd, weil die Marktpreise drastisch darunterliegen - das ist bei Unterhaltungselektronik so, bei "weisser Ware", bei Autos und bei so ziemlich allem anderen. Ergebnis eines Überangebots am Markt, eines Overpricings durch die Hersteller (für die hohe Preise ein Imagegewinn sind) und eine Folge des Discount- und Versandhandelsbooms und Preistransparenz durch Preissuchmaschinen wie Idealo: Verbraucher gucken überproportional auf den Verkaufspreis und gewichten diesen sehr hoch. Soft Skills wie Beratungsqualität und Servicequalität sind schwer und nicht objektiv zu bemessen und vielen Käufern demgegenüber vollkommen egal. Folge: Händler können zunehmend nur noch über den Preis verkaufen. Das Ergebnis ist eine Abwärtsspirale in der Qualität von Beratung, Service und mittelfristig auch in der von Produkten, weil höherpreisige und hochqualitativere Produkte im Massenmarkt regelmässig gegen ähnlich aussehende von schlechterer Qualität, die billiger sind (aber nicht grundlos...) verlieren.
Bei Brompton war das lange anders: Der deutschen Importeur Hennig Voss veröffentlichte jedes Jahr eine Preisliste mit den Listenpreisen und die Händler orientierten sich im großen und ganzen daran. Es gab mal einen "Hauspreis", insbesondere im Bundle mit Zubehör und einen Rabatt auf Vorführräder und Vorjahresmodelle, das war's aber auch schon. Preisunterschiede zwischen den deutschen Händlern waren kaum vorhanden und alle waren soweit zufrieden.
Das änderte sich, als Anfang der 2010er Jahre Faltrad-XXS den Markt betrat. Sie hatten speziell zu Anfang eine ziemlich aggressive Preispolitik für Bromptonverhältnisse und boten regel- und standardmässig 50-150€ unter Listenpreis an. Das führte dazu, dass reichlich Kunden sich lokal beraten liessen beim kleinen Fachhändler um dann bei XXS günstiger zu bestellen - und am besten noch im Problem- oder Garantiefall wieder beim lokalen Händler aufzuschlagen. Entsprechend "gut" waren die kleinen Fachhändler auf XXS zu sprechen.
Aber nun: Deren Businessmodell war Massengeschäft und Versandhandel von ihrem Standort Marl - das geht nur über den Preis. Und natürlich hat ein Versandhändler mit hohem Durchsatz und ohne Beratungsaufwand und im günstigen Gewerbegebiet gelegen günstigere Kostenstrukturen (und bekommt vermutlich auch höhere Rabatte beim Einkauf). Da kann er auch günstiger verkaufen.
Lange Jahre war und blieb XXS der einzige Händler mit diesem Geschäftsmodell und auch der einzige in Deutschland, der in großem Stil Bromptons per Versand verkaufte und standardmässig fühlbar unter Listenpreis anbot.
Ende 2020 übernahm Brompton selbst den Vertrieb in Deutschland und eliminierte den Importeur seit über 30 Jahren, Voss Spezialrad. Seitdem gibt es keine offiziellen Preislisten mehr und verkauft wird zunehmend auch über Versender. Neben Faltrad XXS, die ja immerhin noch eine gewisse Fachkompetenz haben gehören dazu inzwischen z.B. Bike24, Fahrrad-XXL, Fahrrad.de und diverse weitere. Kompetenz braucht man da nicht zu erwarten und kollegiales Verhalten gegenüber dem kleinen Fachhändler schon gleich gar nicht. Die machen sozusagen das, was vor Jahrzehnten Mediamarkt und Co. den kleinen Elektrofachhändlern angetan haben: Aggressives Pricing (das bei genauerem Hinsehen von seltenen Ausnahmen abgesehen aber oft nur heisse Luft ist), laute Werbung und die so Kleinen aus dem Markt drängen (und ggf. durch Probefahrten der Kunden beim kleinen Händler sogar noch parasitär von diesen profitieren). Diese von Brompton beförderte aggressive Wachstumspolitik zu Lasten kleiner kompetenter Händler ist ein klarer Paradigmenwechsel von Brompton - über Dekaden hatte man sehr bewußt den Vertrieb über Fachhändler gewählt. In UK und USA hat sich das schon länger gedreht, in Deutschland hatte Henning Voss bis zur Kündigung des Vertrags seine schützende Hand über die Fachhändler gehalten.
Listenpreise bekommt man heute nur noch, indem man im Onlineshop von Brompton selbst die Preise recherchiert. Logischerweise verkaufen sie zu dem Preis, den sie selbst als Preisempfehlung geben. Allerdings muss man die Preise rechtzeitig abschreiben - die ändern sich ja jedes Jahr (und manchmal noch häufiger). Entsprechend ist das Dokument zur Preisentwicklung, das ich seit vielen Jahren pflege, heute sehr viel wichtiger als früher, weil es schlicht gar keine andere Quelle für Preise vergangener Jahre mehr gibt seit Brompton selbst die Regie im deutschen Vertrieb übernommen hat.
Wenn ich bei Bromton Deutschland auf der Seite schaue dann sehe ich das günstigste P-Line für 2774€. Andere Händler verlangen sogar noch mehr (erstaunlicherweise).
Das ist eine Folge des immensen Händlerwachstums in den letzten Jahren. Viele Händler haben offenbar absolutely no clue und würfeln die Preise offenbar irgendwie aus. Da sind in den letzten paar Jahren viele hinzugekommen, die auf den Bromptonzug aufgesprungen sind, aber weder einen Bezug zum Produkt haben noch Erfahrung damit. Dafür haben diverse kleine langjährige Händler den Bromptonzug verlassen, weil für sie da nichts mehr zu gewinnen war in Bromptons neuer Strategie.
Die 2750€ waren der "offizielle" Preis Anfang diesen Jahres. Offenbar ging es zwischenzeitlich 25€ nach oben. Brompton selbst hat meiner Einschätzung nach keine dauerhaften Fixpreise mehr sondern sie werden zwar - wie bisher - jedes Jahr erhöht, allerdings durchaus auch unterjährig angepasst ein paar Euro hoch und runter, scheinbar abhängig vom Kurs Pfund zu Euro. Ist aber nur eine Vermutung, kein Wissen.
Ich kann nur keinen lokalen Händler finden, der das Rad für den reduzierten Preis anbietet. Bzw. ist das für kleine Händler überhaupt möglich, die Reduzierung den grossen Händlern anzupassen? Ich tippe ja fast auf nein.
Wenn ein kleiner Händler noch ein Rad aus 2022 dastehen hat, das er entsprechend günstiger eingekauft hat, wäre das im Prinzip schon möglich. Allerdings hast Du zwei Probleme: Zum einen weiss der Fachhändler im Gegensatz zum Kistenschieber, dass das 2022er P-Line sich in absolut nichts vom 2023er unterscheidet. Warum also sollte er es billiger anbieten?
Zum anderen können Händler nicht so viel bestellen, wie sie wollen sondern bekommen Kontingente. Die großen Versender bestellen - übertrieben gesagt - containerweise, packen sich die Lager voll und bekommen noch einen anständigen Mengenrabatt. Müssen die Räder aber auch verkaufen - notfalls über den Preis. Und da sie das mit allen anderen Rädern auch so machen ist "Modelljahr" ein primärer und einfacher Indikator für Preisanpassungen - gleich für alle Arten von Rädern, völlig wurscht ob sich tatsächlich was geändert hat. Wichtig ist die Umschlaggeschwindigkeit, also wie lange ein Rad im Laden bzw. im Lager steht, bis es verkauft wird. Die muss so hoch wie möglich sein (bzw. die Standzeit so niedrig wie möglich), das ist der Kernindikator bei dieser Art Geschäftsmodell auf Masse. Und wenn der Durchsatz zu gering ist bzw. die Standzeit zu hoch wird der Preis gesenkt, bei den ganz grossen mittlerweile vielleicht sogar vollautomatisch.
Die Kleinen bekommen nur eine Hand voll Räder pro Jahr und müssen die sich gut einteilen, damit sie ihren Kunden das liefern können, was die wollen und nicht dastehen und sagen müssen: Die gewünschte Konfiguration kann ich nicht liefern, ich habe mein Kontingent für dieses Jahr aufgebraucht. Nimm das, was im Laden steht, was anderes kriege ich nicht bei. Und natürlich bekommen die kleinen Händler auch entsprechend schlechtere Preiskonditionen, ist jedenfalls zu vermuten, denn das ist üblich.
Sie haben also weder die Möglichkeit (und normalerweise auch nicht den Platz), sich den Laden voller Räder zu stellen, die sie verkaufen oder auch nicht, sie haben typischerweise auch weder den Markt für solche Radmengen noch das Kapital, um das vorzufinanzieren. Da grössere Mengen an Rädern, gar teuren wie der P-Line, unverkauft im Folgejahr im Laden stehen zu haben ist ein Risiko, das keiner eingehen will bzw. kann. Erst recht nicht bei der aktuellen Umdrehungsgeschwindigkeit von Brompton, wo z.B. Räder mit silbrigen Extremitäten aus dem letzten Jahr 2023 offensichtlich "Ladenhüter" sind, die man tendenziell über den Preis verkaufen muss, damit man sie überhaupt los wird. Und mit der 12-Gang am Horizont dräut diesbezüglich die nächste Runde. Genau wie vor zwei Jahren mit der Umbenennung zu C-Line - auch da waren "alte" Räder eindeutig optisch zu identifizieren.
Das war früher komplett anders, da war das Modelljahr kein Riesendrama und teilweise wurden Vorjahresräder von den Händlern mit den aktuellen Änderungen nachgerüstet, wenn es nur kleine waren (Sattel, Hinterbauclip, etc.) und zu aktuellen Preisen verkauft. Es gab jedes Jahr zwei kostenlose Farben und Standardmodelle (Key-Modelle genannt), die hatten alle Händler mehr oder weniger auf Lager und die waren auch schnell via Voss zu bekommen. Deswegen gibt es auch so viele schwarze Bromptons: Schwarz war fast immer eine kostenlose Farbe. Alles andere war "bespoke" und wurde auf Bestellung im Werk gebaut - Wartezeit ~8 Wochen. Darauf waren die kleinen Händler spezialisiert: Das "schnelle Geschäft" mit den Keymodellen einerseits und das beratungsintensive mit den Bespokes andererseits.
Heute sind fast alle Farben kostenlos - das alles vorzuhalten kann kein kleiner Händler. Also muss er Wetten eingehen, was die Kunden wohl mögen werden. Das muss risikoarm sein, aber manchmal geht es schief. Und die Wetten sind schon rein von der Menge her deutlich kleiner als bei den Versendern wie XXS oder XXL - die idR aber "friss oder stirb" spielen: Verkauft wird, was im Lager steht, Individualbestellung oder Individualisierung ist nicht.
Umschlaggeschwindigkeit ist natürlich auch bei kleinen Händlern wichtig (keiner hat gern Ladenhüter), aber darauf wird nicht systematisch betriebswirtschaftlich optimiert. Was sich heute nicht verkauft verkauft sich halt morgen. Eher wird der Preis nach Jahren auf Basis der Dicke der Staubschicht auf dem Rad angepasst, übertrieben gesagt.
Denn, zu guter Letzt: Kleine Händler sind oft keine umsatzoptimierenden Betriebswirte sondern Fachleute. Und tun sich schwer, sich dem neuen Puls von Brompton anzupassen, der so gar nicht zu ihrer Art, ihrer Kernkompetenz und ihrem Kundenstamm passt. Das kann man vielleicht den Händlern ein Stück weit vorwerfen (zumal sich der ganze Fahrradmarkt ein Stück in diese Richtung zu verändern scheint), aber sicherlich genau so Brompton. Sie opfern dem Ziel Umsatzwachstum ihre Händler, die ihnen seit teilweise 30 Jahren die Treue halten und die Marke groß gemacht haben. Und sie opfern auch das Thema Kompetenz und Qualität des Fachhandels. Wenn man so wachsen will wie Brompton ist das kaum zu vermeiden - schön ist es dennoch nicht. Und ob es clever ist wird die Zeit zeigen.
Zwischen den großen Versendern und den Kleinen liegen die mittleren Händler. Deren Problemlage liegt entsprechend auch in der Mitte. Faltrad XXS verkauft vermutlich vierststellig Bromptons pro Jahr. Ohne es zu wissen würde ich vermuten niedrig vierstellig. Ein sehr kleiner Händler verkauft vielleicht nur zehn (oder noch weniger). Und ein Mittlerer vielleicht 50-500. Würde ich vermuten - Zahlen habe ich nicht. Vor grob zehn Jahren wurden, so hatte ich damals in der Kaufberatung geschrieben, pro Jahr in Deutschland etwas über 3000 Bromptons verkauft und es gab meiner Erinnerung nach etwas über 70 Händler (da kann ich aber beliebig falsch liegen). Heute sind das, grob gepeilt auf Basis der
Karte auf der Brompton-Webseite eher 140-150 Händler.
Die Produktionszahlen haben sich in den letzten zehn Jahren knapp verdreifacht, entsprechend wird auch die Menge an in Deutschland verkauften Rädern deutlich nach oben gegangen sein, wenn auch vermutlich nicht linear, dem stark wachsenden Absatz in Asien sei dank.
Die Klassifzierung der Händler bei Brompton in "bronze, silber, exzellence etc.", die es seit einigen Jahren gibt, hängt meines Wissens auch nur am erzielten Umsatzvolumen - mit der Qualifikation oder Qualität des Händlers hat das mindestens bisher absolut nichts zu tun.
Also: Du kannst Glück haben, dass ein kleinerer Händler den Preis mitgehen kann und das auch tut. Erwarten kannst Du das aus gleich einer ganzen Reihe von Gründen nicht. Und besonders lohnend wäre es für ihn wahrscheinlich auch nicht.
Zumal letztes Jahr noch Teil des Corona-Fahrradbooms war, das P-Line neu war und entsprechend beliebt. Wer heute noch ein 2022er P-Line im Laden stehen hat hat vergangenes Jahr wohl sehr großzügig eingekauft und den Markt falsch eingeschätzt.