Bekleidung Langzeiterfahrung: Brompton Barbour Merton Jacket

berlinonaut

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Nachdem es ja gerade wieder eine Brompton Barbour Edition gibt und als Teil der Kampagen neuerlich eine ziemlich teure Brompton-Barbour Jacke interessiert vielleicht ein Erfahrungsbericht über den Vorgänger und die Unterschiede zum aktuellen Modell.

Das ist das "Merton Jacket", von dem dieser Bericht handelt:

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Und das ist zum Vergleich das aktuelle 2022er "Bromdale Jacket"
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Das erste Barbour Brommi erschien 2017 und mit ihm u.a. das Brompton Barbour Merton Jacket. Eine Wachscotton-Jacke im klassischen Stil, versehen mit, so hieß es, einigen speziellen Features für Radfahrer. Ich fand das Teil recht interessant und hinreichend hübsch, erst recht, als ich es mal in Natura gesehen hatte. Allein den Preis von meiner Erinnerung nach irgendwas zwischen 349€ und 399€ fand ich gar nicht gut und hielt mich daher zurück.
Das taten offenbar noch andere Menschen und so wurde die Jacke mit der Zeit immer mal wieder billiger angeboten. Problem dabei: Preis musste passen, Grösse musste passen und nach Deutschland musste das Ding auch lieferbar sein. Das war dann schwierig: Ich wußte dank praktischer Anschauung sowie Hinweis von @terrandres , daß die normalen Barbour-Größenregeln hier nicht gelten. Gemeinhin, so las ich, solle man bei Barbour-Jacken ein bis zwei Nummern kleiner wählen, wenn man nicht seine Familie mit in die Jacke nehmen möchte. Nicht so beim Merton Jacket - XL sollte da auf jeden Fall sein, im Normalfall habe ich L. Die Größe zu bekommen war nun schwierig - wenn es sie überhaupt im Angebot gab war ich entweder zu langsam/zögerlich oder der Händler wollte nicht nach .de versenden. Irgendwann 2018 fand ich dann einen Laden in Bristol, der die Jacke sehr günstig anbot, aber eben nur nach UK versenden mochte. Dank Freunden in UK hatte ich einen Mailhub, den ich nutzen konnte und so dann wenig später die Jacke.
Seitdem - also seit ca. vier Jahren, ist sie meine meistgetragene Jacke. Getragen wird sie eigentlich immer, ausser im Hochsommer. Für die Übergangszeit ist sie optimal, im Winter kommt eine dünne Daunen- oder Fleecejacke drunter. Passt. Was ich bezahlt habe weiss ich nicht mehr, ich glaube es waren um die 180 Pfund, also sehr deutlich unter dem ursprünglichen Preis.

Von den Features her ist das Teil klassisches Barbour: ziemlich dunkelgrüne gewachste Baumwolle (dadurch im Prinzip wasserdicht), Seitentaschen, aufgesetzte Brusttaschen, sehr dünnes Innenfutter, Cordkragen. Unüblich sind Strickbündchen am Ärmel (damit der Wind nicht reinpfeift beim Radeln), begleitet von einem leichten Gummizug im Wachscotton am Ärmelende. Zur "Radleraussattung" gehören noch je zwei Reissverschlüsse an den Ärmeln und seitlich am Rücken rechts und links, ausserdem ein Reflektor, wenn man den Kragen aufstellt. Die linke Brusttasche ist leicht schräg, damit man besser auf dem Rad rankommt, so die Werbung. In die Brusttasche passt btw. perfekt der deutsche Reisepass rein von den Abmessungen her. Innentaschen gibt es - barbourtypisch - nicht. dafür gibt es zwei Kordelzüge, einen unten und einen an der Tallie. Bzw. mehr oder weniger an der Tallie, denn die ganze Angelegenheit ist zwar sehr bequem, hat aber mehr oder weniger die Passform "nasser Kartoffelsack". Der Talliengummizug ist bei mir (wohlgemerkt bei XL statt bei L) auf Höhe des Rippenbogens, also 10-15cm zu hoch (bei "Übergrösse" sollte man eigentlich erwarten, dass es umgekehrt währe und die Tallienschnürung deutlich zu weit unten sässe), auch ist die Jacke relativ kurz - obwohl eigentlich im Prinzip ein Parka bedeckt sie trotz asymetrischer Verlängerung hinten (hinten länger als vorne, noch so ein Radlerfeature) den Hintern nur halb. Der Griff zu XL war daher gut gewählt. Von der Weite her könnte sie wiederum ein bisschen schmaler sein, muss sie aber nicht. So ist im Winter eben noch Platz für eine dünne Unterjacke. Wie gesagt: Die Grössenbezeichnung ist da irgendwie sehr schief gelaufen.

Den seltsame Schnitt samt Tallienzug in luftiger Höhe sieht man sogar auf den Werbefotos:

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Im praktischen Einsatz auf dem Brommi überzeugt das Teil. Kurze oder auch längere Schauer haben jeden Schrecken verloren, die Taschen sind praktisch und ziemlich gross (auch wenn man ziemlich verbeult aussieht, wenn sie gut gefüllt sind), die Belüftungsreissverschlüsse sind beim Radeln insbesondere in Frühjahr und Herbst, wenn die Temperaturen wechselhaft sind, ein echter Segen. Der Reissverschluss der sich auch von unten öffnen lässt (noch ein Unterschied zu normalen Barbour-Jacken) hält und die zusätzliche Öffnungsmöglichkeit ist gelegentlich nützlich.


Weniger nützlich ist der Kragen - im Prinzip kann man ihn aufstellen und mit einer Schnalle verschliessen. Leider ist er sehr klein, so dass der Effekt minimal ist. Auch ist das die einzige Stelle, wo die Jacke wirklich "XL" ist - die Halsöffnung ist für Stiernacken konzipiert, so dass es dann da doch immer mal reinpfeift, wenn es so scheusslich ist, dass man den Kragen aufstellt. Der Reflektor hinten am Kragen ist witzlos. Erstens sieht man ihn im Normalfall nicht, zweitens ist er hell und nicht rot (wie es nach hinten angemessen wäre), drittens fängt er mittlerweile an etwas rissig zu werden. Hätte man sich komplett sparen können.



Der Stoff ist nicht ultradünn, aber auch nicht ultradick - das hat den Vorteil, dass die Jacke nicht so furchtbar schwer ist und sich auch ganz gut verstauen lässt und den Nachteil, dass er nicht ganz so robust ist wie erhofft. Nach vier Jahren (bzw. durch pandemiebdingtes Homeoffice eher 2,5) fast täglicher und intensiver Nutzung über jeweils drei viertel des Jahres zeigt sich deutlicher Verschleiss. Los ging es mit Wasserundichtigkeit an der Schulter Ende letzten Jahres, zuerst auf der rechten Schulter, über die ich regelmässig das Brommi hänge. Über die Schultern läuft mittig quer eine Naht - das ist da natürlich unpraktisch. Hier hätte ich mir auf der rechten Schulter eine Aufdopplung mit einer weiteren Lage Stoff gewünscht über die vermaledeite Naht hinweg. Aber offenbar fahren die Damen und Herren bei Barbour kein Brompton oder wenn sie es tun tragen sie es nicht, drum sind sie nicht auf die Idee gekommen.

Also bekam die Jacke von mir eine Wachsbehandlung - dass man dafür eigentlich Drywachs nehmen soll habe ich erst hinterher gemerkt. :whistle:Jetzt ist sie wieder dicht. Bei der Gelegenheit habe ich das Teil intensiv angeschaut und festgestellt, dass die Jacke deutlich zerfetzter ist, als ich vorher wahrgenommen hatte: Am rechten Ärmel kurz vor dem Bündchen ist ein Winkelriss, wie auch immer ich den produziert habe. An der linken Tasche habe ich es irgendwie geschafft, den Stoff zwischen Tasche und Futter aussen aufzureissen - vermutlich weil ich da idR meine Schlüssel drin habe und sie häufiger mal reinstecke, ohne die Druckknöpfe der Tasche zu öffnen. Rund um die Gummizüge der Bündchen sind diverse kleine Löchlein - stinknormaler Verschleiss, agesichts der etwas ungeschickten Konstruktion mit den Raffbündchen dort zu erwarten. Die Klettriegel an ebendiesen Bündchen sehen ziemlich ranzig aus, obwohl ich sie nie aufmache. Ohnehin sind die Klettbereiche in braun, was überhaupt nicht zum dunkelgrün der Jacke passt.

Der Stoff auf der rechten Schulter, über der das Brommi hängt, kommt mir mittlerweile deutlich dünner vor als auf der linken, wo nie ein Brommi hängt. Insgesamt bin ich von der Robustheit etwas enttäuscht, da hätte ich mehr erwartet. Ansonsten alles tutti bene.

Kapuze gibt es im Gegensatz zum jetzt aktuellen Modell nicht - hilfreich wäre sie gelegentlich gewesen, aber eher weniger beim Radfahren sondern eher beim Wandern im Regen oder Schnee. Ob sie beim neuen Modell radfahrgeeignet ist ist auch die Frage.

Meine Jacke kommt irgendwann demnächst zur Überarbeitung zum Barbour Service, denn mögen mag ich sie trotz aller Schwächen schon sehr. Da werde ich dann auch fragen, ob man denn die rechte Schulter nicht nachträglich aufdoppeln kann. Am besten mit eine Nummer robusterem Stoff. Danach ist sie sozusagen ein Einzelstück und das ist ja auch das schöne an Barbour-Jacken: Die wachsen irgendwie mit ihrem Träger zusammen über die Jahre, erzählen über ihren individuellen Verschleiss eine Geschichte und es ist eines der wenigen Kleidungsstücke, mit dem man eigentlich nie völlig falsch angezogen ist, ob in der Oper oder in der Rockerkneipe.

Von den beschriebenen Schwachstellen der Urversion scheint bei der 2022er Version möglicherweise die Schulternaht gelöst zu sein, der Kragen vergrössert, die Kragenweite verringert, der Sturmchutz am Kragen verbessert, die Raffbündchen am Ärmel samt der fehlfarbigen Klettverchlüsse entfallen und die Passform vermutlich verbessert worden zu sein. Zumindest auf den Bildern wirkt der Stoff auch etwas schwerer, das kann aber täuschen.
Nicht gefällt mir an der Neuen das orangene Innenfutter, der Entfall der Brusttaschen, der weniger klassische Reissverschluss und natürlich der exorbitante Preis. Auch das rückwärtige Design finde ich eher "geht so". Mehr Details und mehr Fotos zur Neuen im Thread dazu: Barbour-Brompton Jacken 2022

Die Fotos der Merton sind von dieser Seite, auf der es die Jacke mal im Angebot gab, aber schon lange vorbei. Nebenbei gab es seinerzeit reichlich Fakeshops mit Angeboten für Barbour-Jacken, darunter auch die gesuchte. Falls also jemand beim aktuellen Modell die gleiche Kaufstrategie wie ich damals anwenden möchte sei er gewarnt... (und es ist eh eine Wette mit ungewissem Ausgang, ob es wirklich deutlich vergünstigte Angebote geben wird).

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Zuletzt bearbeitet:
Was ich völlig vergessen hatte war die Frage: Lohnt sich eigentlich so eine laut Werbung auf Radfahren optimierte Barbour Jacke im Vergleich zu einer "normalen" Barbour Jacke, wo sie doch deutlich teurer ist?
Ich würde sagen: Schwer zu sagen. Hängt wahrscheinlich von Geschmack und Einsatzszenario ab. Im normalen Pendlerbetrieb braucht man sicherlich keine Spezialjacke und angesichts des preislich wie designmässig riesigen Portfolios von Barbour (noch mehr, wenn man den Gebrauchtmarkt mit einbezieht) wird sich sicherlich was Brauchbares für einen sehr viel geringeren Preis finden. Tatsächlich sehr angenehm sind die zusätzlichen Belüftungsreissverschlüsse, die habe ich noch nie an einer anderen Barbour-Jacke gesehen (was nicht heisst, dass es sie nicht vielleicht doch gibt). Auch sonst dürften Dinge wie die Strickbündchen tatsächlich kleine Vorteile bieten gegenüber den normalen Jacken. Ob einem das den doch heftigen Mehrpreis wert ist muss jeder für sich entscheiden.
Ich werde mir, falls sich die Gelegenheit ergeben sollte, das neue Modell sicherlich anschauen, es aber sehr wahrscheinlich nicht erwerben und sicher nicht zum Normalpreis. ;)

Wem das Merton Jacket gefällt: Aktuell gibt es eines neu mit Etiketten bei ebay UK für GBP 100, bislang ohne Gebote. Leider in Grösse M, also wohl eher für kleinere Menschen: Barbour Brompton Merton Wax Jacket M RARE BNWT | eBay
 
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