Kettenpflege

berlinonaut

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Weil dieser Thread sowieso früher oder später kommen wird kann man ihn genauso gut gleich starten. ;) Um das Thema ranken sich viele Glaubenssätze, Mythen und Legenden - es ist so glaubensbehaftet wie Helmdiskussionen und viele haben ihr persönliches Lieblingsvorgehen und ihr Lieblingsmittelchen. Beides muss nicht zwingend auf rationalen Kiterien fussen...
Versuchen wir also als erstes mal das Problem zu beschreiben:
Beim Fahrrad erfolgt die Kraftübertragung zwischen Fahrer und Rad in den meisten Fällen über eine Kette mit beweglichen Gliedern. Diese hat mechanische Reibung, die Kraft frisst. Diese Reibung möchte man möglichst gering halten, deswegen muss die Kette geschmiert werden. Nebenbei beugt die Schmierung sowohl dem mechanischen Verschleiss vor, dem jede Kette zwangläufig unterliegt, (erhöht also im Idealfall die Lebensdauer) und zweitens unschönen Geräuschen, die des Radlers Ohr nerven.
Soweit dürfte allgemeine Zustimmung herrschen. Bei dem "wie", "womit", "wie oft" scheiden sich dann die Geister und das sehr deutlich. Zunächst mal gibt es zwei religiöse Hauptströmungen: Die Öler (das sind die meisten) und die Wachser (das sind vergleichsweise wenige). Das Wachsen hat den unbestrittenen Vorteil des saubereren Antriebsstrangs (was auch des Radlers Hosenbein freut) und den ebenso unbestrittenen Nachteil, dass es zumindest initial (d.h. bis die neue Kette fahrfertig am Rad montiert ist) deutlich aufwändiger ist als Ölen (da die neue Kette zunächst entfettet werden muss und in flüssigem Wachs getränkt). Wie das dann im Betrieb aussieht und ob eine gewachste Kette länger hält und was dafür nötig ist ist wiederum Gegenstand erbitterter Diskussionen - gehört ergo nicht zu den Grundlagen. In der Folge beschäftigen wir uns also erst mal und vorwiegend mit dem Ölen.

Grundlegendes Basiswissen dabei: Eine gut gepflegte Kette sieht trocken aus. D.h. sie ist eben nicht ölig. Das dürfte beim einen oder anderen bereits für Verwirrung sorgen. Hat man doch als Kind gelernt, mit dem Fläschchen Nähmaschinenöl grosszügig die Kette zu tränken... Das verhindert zwar immerhin Rost an der Kette, ein sinnvolles Vorgehen ist es aber dennoch nicht. Warum, das kommt jetzt.

Wie gesagt soll die Kettenpflege sowohl Reibung als auch Verschleiss verhindern. Beides findet innen in der Kette statt, an einer Stelle, an die man nicht hinkommt: In den Röllchen. Das bedeutet deprimierenderweise, daß jegliche Kettenpflege aussen am sichtbaren Bereich der Kette nahezu vollkommen nutzlos ist (und kräftiges Ölen hauptsächlich zu schwarzen Hosenbeinen führt) und dass man dort, wo man evtl. pflegen müsste, gar nicht pflegen kann. Au weh.

Eine Kette (hier im Bild eine PC870 von SRAM, Foto von der SRAM Webseite) besteht aus einer Abfolge von inneren und äusseren Kettengliedern. Die Inneren Kettenglieder haben dabei zwischen den beiden Laschen jeweils eine Hülse, durch die der Bolzen, den die äusseren Kettenglieder jeweils haben, gesteckt wird.

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Ein äusseres Kettenglied sieht im Prinzip so aus wie dieses klassische Kettenschloss (Foto: SRAM). Die Bolzen werden dabei durch je eine Hülse eines Innenglieds gesteckt und (im Gegensatz zu dem Kettenschloss im Bild) vernietet. Das ganze so lange, bis die typische Länge von 114 Gliedern für eine für den Handel konfektionierte Kette erreicht ist, fertig ist die Kette. Kettenschloss dazu, ab auf den Laster und dann hat der Bromptonaut das Ding zu hause liegen.

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Es gibt Fahrradketten aus unterschiedlichen Materialien, in unterschiedlichen Breiten, in unterschiedlichen Oberflächenbehandlungen, gekröpft oder ungekröpft - das Konstruktionsprinzip ist aber immer gleich. Und damit ist auch klar, wo das Problem liegt: Die Reibung findet nur zu einem minimalen Teil vertikal zwischen den Kettenlaschen von Innen- und Aussenglied statt und fast ausschliesslich (horizontal) zwischen Stift des Aussenglieds und Hülse des Innenglieds. Also genau da, wo man nach dem Zusammenbau nicht hinkommt...
Im Prinzip handelt es sich hier um ein sehr primitives Gleit- bzw. Reiblager: Das Material reibt direkt aufeinander, Kugellager o.ä. sind nicht im Spiel. Schauen wir uns das mal im Detail an:

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Medium 527 anzeigenIn der Draufsicht erkennt man gut Die Elemente Aussenlasche, Innenlasche und Röllchen

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Die Reibung findet zwischen den beiden Partnern "Kragen" und "Stift" statt.
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Die ganze Angelegenheit wird auf Zug belastet - tritt der Fahrer in die Pedale zieht zunächst das Röllchen, das am Kettenblatt einhakt via seines Partners am selben Kettenglied weiter hinten den Stift der dort verbundenen Aussenlasche stürmisch nach vorne und der, nicht faul, gibt das weiter an seinen Stiftkumpel am selben Kettenglied und der wiederum an die Kragen des Röllchens, in dem er selbst steckt und so weiter und sol weiter, bis man am Hinterrad und dem dortigen Ritzel angekommen ist. Das setzt dann das Hinterrad in Bewegung. Durch das Reiben von Stift und Kragen unter Last aufeinander wird gleichzeitig auch Material abgetragen - in minimalem Ausmaß, aber stetig. Und so entsteht der Kettenverschleiss: Der Bolzen und der Kragen des Innenglieds werden mit der Zeit durch die Reibung Stück für Stück dünner, das Spiel zwischen beiden grösser. Nicht so dünn, dass sie brechen würden, aber so, dass über die gesamte Länge sich die Kette fühlbar längt und irgendwann nicht mehr zu denn Abständen der Zähne von Ritzel und Kettenblatt passt.* Dann wird es Zeit für eine neue Kette. Gleichzeitig bekommt durch den Verschleiss die Kette seitwärts Spiel - eine neue Kette lässt sich sehr viel weniger seitlich "verbiegen" als eine deutlich gebrauchte. Wir das seitliche Spiel zu gross verliert die Kettenschaltung an Wirkung und es schaltet zusehends schlechter und irgendwann gar nicht mehr. Ebenfalls Zeit für eine neue Kette, u.U. obwohl die Länge noch ok wäre. Es wäre also gleich doppelt ausgesprochen wünschenswert, wenn da wenig Reibung und schon gar kein Rost im Spiel wäre in den Kettengliedern - spart Kraft und mindert den Verschleiss. Bloss: Wie kommt die Schmierung da rein?

Ab Werk ist das denkbar einfach: Die Ketten werden in warmes (und daher flüssiges) Fett getaucht. Das füllt dann sämtliche Hohlräume und ist nach dem Abkühlen zäh, verbleibt an Ort und Stelle und schmiert fröhlich vor sich hin zwischen Bolzen und Hülse.

Ergo: Eine neue Kette braucht man nicht zu ölen. Ich tue das auch nicht - die ersten ~1000km läuft die Kette bei mir so, wie sie aus der Packung kam. Geölt wird erst, wenn die Kette nach einiger Zeit anfängt zu "zwitschern" und damit stehen wir wieder vor unserem Problem: Wie Schmierung an die richtige Stelle bekommen?

In meiner Jugend (die schon sehr lange her ist) frönte ich beim Rennrad einer Methode, die im Prinzip auch heute noch funktionieren würde: Die Kette wird abgenommen, in Petroleum oder Diesel "ausgekocht" in einem alten Topf und so von altem Fett und Abrieb befreit und danach in einem weiteren alten Topf in erwärmtem Fett gebadet. Damals wusste ich das nicht, aber das ist im Prinzip das gleiche, was die Hersteller im Werk machen (nur dass die vorher nicht entfetten müssen). Das gleiche Vorgehen nutzt die eingangs erwähnte Kettenwachsfraktion, nur dass die statt Fett eben Wachs nehmen.

Wenn man nun nicht ausgesprochen fahrradverrückt ist ist das im Alltag etwas unpraktisch (weswegen Anhänger dieser Methode oft auch mehrere Ketten nutzen, die sie der Reihe nach durchtauschen und die Kocherei in größeren Zeitabständen im Batch mit mehreren Ketten auf einmal machen) und kann zu innerhaushaltlichen Zerwürfnissen mit den Lebenspartnern führen; zudem ist das mirakulixhafte Kochen von Ketten in Ingredienzien sicher nicht für jeden was. Wir brauchen also ein Vorgehen, das zivilisationskompatibler ist und hier kommt die Schmiermittelindustrie ins Spiel:

Die hat nun die so profane wie undankbare Aufgabe, ein Mittelchen zu ersinnen, das der technisch unbedarfte Laie von aussen auf die Kette aufträgt und das dann wie durch Wunderhand sich von alleine und in Windeseile nach innen zwischen die Röllchen und die Stifte begibt und dort sowohl möglichst lange bleibt wie auch möglichst prima schmiert. Das Zeug muss also gleichzeitig sehr flüssig sein wie auch zäh und ausserdem mit guten Schmiereigenschaften wie auch einem guten Orientierungssinn versehen. Die Quadratur des Kreises. Vielleicht sollte man einen lichtscheuen Schmierstoff erfinden, der sich gerne in dunkle Ecken verkriechen mag...
Die Lösung des Problems heisst "Lösungsmittel": Der Schmierstoff wird mit irgendwas angereichert, das es verflüssigt, das sich aber bei Sauerstoffkontakt zügig verflüchtigt. Damit hätte man das flüssig-zäh-Paradoxon gelöst. Für das Thema "soll schmieren" rührt nun jeder Hersteller sein eigenes Süppchen, Poly- und sonstige mere, die unter Scherkräften Wunderdinge vollbringen, eine Prise Teflon, vielleicht noch ein Duftstoff - der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Ehrlicherweise würde es Rindertalg, Walfischtran oder sonst was zweifellos genauso tun. Oder eben Wachs. (Juliane merkt an, dass das nicht stimmt: Einfache Fette und auch Wachs würden der Belastung von bis zu 1 Tonne nicht standhalten und deswegen wäre das nicht geeignet. Wie gesagt sagen andere anderes - die hohe Kunst der Religion ;) ). Die mechanische Beanspruchung einer Fahrradkette ist jetzt nicht so übermässig gross im Vergleich zu anderen mechanischen Schmieranwendungen im Maschinenbedarf. Aber man braucht ja auch was für's Marketing, was man auf die Packung schreiben kann...

Wichtig ist nur: Das Zeug soll nicht ranzig werden und auch nicht zu zäh sein, weil dann klebt's fürchterlich und das zieht Dreck an (deswegen ist z.B. Sonnenblumenöl ungeeignet) und der Lösungsmittelanteil soll auch nicht hoch sein, sonst schmiert's nicht und schon gar nicht dauerhaft (deswegen ist WD40 für die Kettenpflege total untauglich). Schön wäre, wenn das Zeug Wasser draussen lässt (bzw. aktiv verdrängt) und Hosenbeine sauber. Der Hersteller mag es auch gerne, wenn es nicht ewig hält - deswegen verkauft man gerne Sprays - da geht gern 80% sonstwohin, aber nicht auf die Kette (und schon gar nicht an die relevanten Stellen da) und man kann wenig Inhalt für teures Geld in einer großen Dose verkaufen. In der Praxis sollte man Sprays eher vermeiden und Tropfflaschen sind die Gebindeform der Wahl: Nur damit lässt sich das Schmiermittel sowohl sparsam dosiert wie auch punktgenau appliziert an die richtigen Stellen auftragen. Sprays haben eher den Effekt einer Schrotflinte und neben der Verschwendung ist man hintether meist damit beschäftigt, die Stellen zu säubern, die man eigentlich gar nicht ölen wollte, wohingegen die, die man ölen wollte, nicht so viel abbekommen haben.

Für den Anwender viel wichtiger: Wie und wie oft soll man denn nun eigentlich ölen? Antwort: Sparsam und sorgsam auf Tropfen für Tropfen von oben auf den Spalt zwischen Röllchen und Stift zwischen Innen- und Aussenglied aufgetragen und einsickern lassen, Glied für Glied, mindestens eine Stunde einziehen lassen, danach übermässigen Schmierstoff mit einem Lappen abwischen (Kette langsam durch den Lappen kurbeln). Bei besonderer Detailliebe wiederholen. Eine Übung für Zen-Buddhisten. Das wäre das "wie". Wie man sich vorstellen kann bleibt das dennoch mehr Prinzip Hoffnung als mechanisch befriedigend...

Das "wie oft" hängt von den Einsatzbedingungen ab: Die ersten 1.000km braucht man idR schlicht gar nichts tun, höchstens eventuell überschüssiges klebriges Fett von der Kette abwischen vor der Montage - hierzu darf z.B. ein mit WD40 oder Waschbenzin präparierter Lappen zum Einsatz kommen. Danach alle vielleicht 300-500km ölen - eben wenn es zwitschert. Bei regnerischen Bedingungen ist das früher als im Trockenen. Die Lebensdauer einer Kette am Brompton beträgt übrigens typischerweise zwischen 3.000 - 5.000km, bei guten Bedingungen auch mehr.

Welches Schmiermittel man verwendet ist eine Glaubensfrage und auch eine des persönlichen Geschmacks. Tests von Schmiermitteln gibt es x-fach, so richtig eindeutig sind die Ergebnisse selten, manchmal sogar widersprüchlich. Allzu riesig sind die Unterschiede nicht, auch wenn die Industrie uns anderes weismachen möchte. Persönlich habe ich nach der Nähmaschinenölphase lange "Oil of Rohloff" genommen, bin aber mittlerweile davon weg - die Anwendung braucht mehr Geduld als ich habe und die ganze Angelegenheit ist recht zäh und von daher schmutzanziehend, vor allem wenn man schlampig arbeitet. Recht zufrieden war ich mit Finishline Dry Lube - ironischerweise taugt das bei Regen aber keinen Schuss Pulver (bei trockenen Bedingungen ist es super). Im Regal stehen noch diverse Mittelchen zum ausprobieren, allerdings habe ich die Lust verloren, seit ich vor einigen Jahren Rivolta S.K.D. 16N entdeckt habe, das meine Bedürfnisse prima bedient: Schnell und einfach appliziert, hält lange, macht keinen Ärger. Und das, obwohl es ein Spray ist, was ich eigentlich gar nicht mag. Abraten kann ich von Ballistol (obwohl man das sonst für nahezu alles verwenden kann). Ausser einer sehr schwarzen Hose (es scheint verlässlich sämtlichen vorhandneen Schmierstoff aus der Kette zu entsorgen) erreicht man damit wenig
Auch nicht empfehlen kann ich, auf ein und derselben Kette in kurzem Abstand unterschiedliche Schmierstoffe zu verwenden - die scheinen sich in ihren Eigenschaften dann eher zu bekriegen (wahrscheinlich kann man froh sein, wenn die Kette nicht explodiert), bei mir kam da auf jeden Fall nichts Gutes dabei raus.

Eingedenk der Ausführungen über die Schmierung zwischen Bolzen und Lasche innen in der Kette halte ich auch nicht viel von Kettenreinigern, egal ob als Spray oder als mechanisches Gerät zum Durchkurbeln: Was man damit erreicht ist die werksseitige Fettpackung innen in der Kette auszuwaschen - ohne dass man danach verlässlich neuen Schmierstoff reinbekäme. Das gleiche passiert, wenn man zu häufig und zu sehr ölt: Die Fettpackung wird ausgewaschen und man befindet sich am Beginn eines Teufelskreislaufs des ständigen nachölens. Viel hilft also nicht viel und wohl nicht ohne Grund liest man überdurchschnittlich häufig in Foren verzweifelte Posts über bescheidene Kettenstandzeiten von Leuten, die exzessiver Kettenpflege inclusive regelmässiger Reinigung mit allerlei Mittelchen frönen und glauben, damit was Gutes zu tun - und stattdessen das Gegenteil erreichen.



* da der Verschleiss ja nur in Laufrichtung der Kette stattfindet können Sparfüchse übrigens die Kette wenden und so aus einer toten Kette noch etwas zusätzliches Leben rausholen.

Edit hat ein paar Bilder hinzugefügt und die Sache mit den Kragen präzisiert.
 
Zuletzt bearbeitet:
Platzhalterposting für eventuelle weitere Informationen im Nachgang, da im Startpost des Threads die maximale Zeichenlänge erreicht ist... :oops: :p
 
D. H. Mit Rivolta kommst Du auf 5000? Mit Rohloff, wenn ich die Kette vor dem Ölen sauber wische, kann ich auch mal über 5000 kommen bis die Kette springt, aber auch schon weniger. Vielen Dank für den ausführlichen Artikel.
 
D. H. Mit Rivolta kommst Du auf 5000? Mit Rohloff, wenn ich die Kette vor dem Ölen sauber wische, kann ich auch mal über 5000 kommen bis die Kette springt, aber auch schon weniger. Vielen Dank für den ausführlichen Artikel.
So pauschal lässt sich das nicht sagen. Zum einen nutze ich keinen km Zähler, die km-Leistungen der jeweiligen Ketten sind also überschlägig errechnet. Zum anderen hängt das von den Einsatzbedingungen, der Pflegelust und dem jeweiligen Rad ab. Und vermutlich auch ein Stück von der verwendete Kette. Die ist kein so fürchterlich grosser Kostenfaktor: Am Brompton nehme ich normalerweise 8-fach Ketten, meist SRAM PC830 oder PC870. Das liegt aber weniger an meiner Liebe zu dieser Kette sondern schlicht daran, dass die gut verfügbar und günstig sind (im Versandhandel idR zwischen 8 und 13 Euro pro Stück). Was Negatives kann ich darüber nicht sagen, das kann ich aber auch nicht über die diversen anderen von z.B. KMC oder Wippermann, die ich im Einsatz habe oder hatte.
Klar ist: An einem nabengeschalteten Rad hält die Kette typischerweise etwas länger als an einem kettengeschalteten wegen der im Eingangsposting beschriebenen Verschleisseffekte der Kette auf die Schaltbarkeit per Umwerfer. D.h. an meinen Rohloffrädern hält die Kette idR "ewig", genauso an der Nexus oder an der S/A Dreigangnabe etc.. Bei den kettengeschalteten Rädern kommt es im Gegensatz dazu eher vor, dass die Kette nicht mehr schalten mag oder gar überspringt.
Verlässlichster Langzeitkandidat bromptonhalber ist neben dem Rohloffbrommi bei mir das Zweigang-Titan, weil die anderen Brommis entweder nicht genug km abbekommen um da aussagefähig zu sein oder zu hochfrequent umgebaut werden mit damit einher gehendem Kettenwechsel.
Im Vergleich scheine ich eher ein Kettensoftie zu sein. Wenn ich lese, wie häufig andere Zweigangnutzer ihren Antriebsstrang verschleissbedingt wechseln bin ich immer wieder verblüfft. Da ist gerne von 1500-2000km die Rede und da bin ich definitiv sehr weit drüber. Vor Corona habe ich die Kette an dem Rad meist jährlich gewechselt zu Ende der Wintersaison - dann waren typischerweise zwischen 2500 und gut 4000km damit abgespult worden, je nach Jahr. Am BWR Brommi und früher an der S/A Dreigang war ich da noch sehr weit drüber, da war jahrelang kein Kettenwechsel nötig. Ohne, daß ich besonderes Augenmerk auf die Kettenpflege gelegt hätte. Von den Rohloffrädern reden wir besser gar nicht erst... ;)

Angesichts der doch eher günstigen Kettenpreise macht es für mich keinen Sinn, ein teures Wundermittel zu kaufen oder stundenlang für die Kettenpflege aufzuwenden - meine Brommis sind Nutzfahrräder, die müssen verlässlich laufen mit geringem Aufwand. Und da auch die Ritzel für die Zweigang nicht teuer sind werden sie meist prophylaktisch mit getauscht beim Kettenwechsel, auch das trägt zu längeren Kettenstandzeiten bei. Das große 16er Ritzel war da eigentlich noch nie verschlissen, beim 12er mal so mal so.
Hier z.B. optischer Vergleich Alt gegen Neu beim Wechsel - so furchtbar sieht das meines Erachtens nicht aus - im Gegenteil:

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Experimente mit 2*Kette auf einen Satz Ritzel hab ich auch schon gemacht, dann gab halt meist irgendwann mittendrin bei der zweiten Kette das 12er Ritzel auf und die Kette auch früher als erwartet. Ergo wechsele ich die Ritzel früher als nötig. Die Kette hingegen manchmal deutlich später als die Verschleisslehre nahelegt (macht auch nichts, weil die Ritzel ja eh mit getauscht werden und so kettenverschleissverursachter Ritzelverschleiss egal ist, solange es noch schaltet und die Kette nicht überspringt).

Vorher:

35406218jc.jpg


Nachher:

35406222xs.jpg


Echte Probleme gab es da noch nicht. Bei einer filigraneren Schaltung, einer modernen 12-Gang gar, sähe das vermutlich deutlich anders aus und angesichts von exorbitanten Preisen für die Ritzelpakete dafür wäre wohl auch meine Wechsel- und vielleicht auch die Pflegestrategie eine andere und vielleicht auch das Schmiermittel der Wahl.

So wie es ist ist für mich wichtig, mit wenig Zeitaufwand die Kette so geschmiert zu bekommen, dass sie funktioniert, nicht zwitschert, die Hose nicht einsaut und im Idealfall lange hält. Und das unter allen Witterungsbedingungen. Das mit dem Zeitaufwand ist auch wichtig, weil es ja nicht nur ein Rad zu versorgend gilt sondern erschreckend viele. Hat man nur ein Rad zu pflegen kann man sich mit dem Zen-haften Vorgehen beim Oil of Rohloff vielleicht noch anfreunden. Bei einem hohen n+1 Faktor sieht das anders aus, noch mehr, wenn darunter auch Liegeräder mit episch langen Ketten sind. ;)
Ergo ist für mich einfache und schnelle Anwendbarkeit wichtiger als High-Tech und dafür funktioniert das Rivolta-Zeug für mich bisher ziemlich hervorragend. Vielleicht gerade, weil das offenbar eher für industrielle Anwendung gedacht ist und nicht für die Zielgruppe der esoterikgläubigen Intensivkettenpfleger, die auf blumige Marketing-Worte, esoterische Ingredienzien und aufwendige Rituale stehen...

Aber: Your mileage may vary, je nach Bedürfnissen und Einsatzszenarien taugt dir vielleicht ein anderer Schmierstoff genauso gut oder besser. Da führen meiner Meinung nach ziemlich viele Wege nach Rom und das quasireligiöse Auseinandersetzen über Schmiermittel ist zumindest bei Traktortechnik wie beim Brommi vermutlich nicht wirklich nötig.
 
Ja, meine Ritzel haben schon schlimmer ausgesehen. Dann scheint die Haltbarkeit vergleichbar und der Komfort macht den Unterschied.
 
Die Haltbarkeit der Ketten und Ritzel ist wirklich unterschiedlich, auch bei mir:

  • Bei meinem P12RD hielt die erste Kette gut 10'000km :D, trotz zweitweiser höherer Belastungen wie Pässefahrten oder Schwertransporte mit dem Anhänger. Ich persönlich hätte noch länger mit einem Wechsel gewartet, aber mein Velomech wurde bei diesem Vorschlag leicht bleich im Gesicht.
  • Nach dem ersten Kettenwechsel und den beiden Ritzeln hielt die Kette nur noch 5000km :(, warum auch immer. Wenn nun die aktuelle Kette, die neuen Ritzel sowie dem neuen Kettenblatt erst wieder nach 10'000km gewechselt werden müssen, lag es wahrscheinlich am alten Kettenblatt.

  • Bei meinem T10-Brompton weiss ich leider nicht mehr, wie lange eine Kette hielt. Damit fahre ich leider nur noch sehr selten durch die Gegend, da die Bremsleistung nicht mehr so ganz den heutigen Erfordernissen entspricht und nur noch ein T5 ist.

  • Beim Tourenvelo (kein Brompton) ist eine Rohloff montiert. Bei fast 15'000km ist ein Ketten- und Ritzelwechsel noch weit in der Ferne. Die ersten 12'000km war noch ein Vollkettenschutz montiert (Chainglider), der allerdings wegen einem kleinerem Kettenblatt nicht mehr eingesetzt werden kann. Damals musste ich die Kette etwa zwei Mal im Jahr mit ganz ganz ganz wenig Öl schmieren (zwei drei Tropfen reichten).


Griessli
Tipsi
 
Die Haltbarkeit der Ketten und Ritzel ist wirklich unterschiedlich,
(...) lag es wahrscheinlich am alten Kettenblatt.
Das ist übrigens auch so interessant wie rätselhaft: Ein Kettenblatt habe ich glaube ich überhaupt noch nie verschleissbedingt gewechselt, am Brompton definitiv nicht. Gleichzeitig gibt es Brompton-Nutzer, die den alten fix montierten Kettenblättern die Festigkeit von Käse attestierten und auch bei den neuen am Spidercrank das Kettenblatt jährlich (oder gar noch häufiger) tauschen, angeblich wegen Verschleiss. Zu meinen eigenen Erfahrungen passt das so gar nicht. Entweder die treten alle wie die Elche rein oder sie haben eine eigenwillige Vorstellung von Verschleiss - vermutlich ist bei einigen Verschleiss des Antriebs vielleicht gar ein Statussymbol...
 
Eine dumme Frage: Warum tauscht man die Kette samt Ritzel, aber das Kettenblatt nicht mit?

Bei mir wurde 2020 (nach 5 Jahren) das Kettenblatt getauscht, keine Ahnung, wieviele Kilometer ich bis dahin gefahren bin und ich weiß auch nicht, ob es tatsächlich nötig gewesen ist.
 
Ein Einfach-Kettenblatt kann eigentlich solange gefahren werden bis die Zähne fast abgefahren sind. Aufgrund des großen Durchmessers kann eine neue Kette auch kaum überspringen wie bei den kleinen Ritzeln hinten.
Merksatz: "eine gelängte Kette verschleißt die Zähne und nie umgekehrt". Eine neue Kette wird auf einem ausgeschliffenen Ritzel unter Last die Zahnflanken nach oben wandern und irgendwann anfangen zu springen.
Tatsächlich schmälert sich bei einem ausgeschliffenen Kettenblatt der Geräuschkomfort, da die Kette mehr Bewegungsraum hat.
Ein weiterer Grund für einen Wechsel kann sein, dass sich an den belasteten Zahnflanken, wenn zu lange mit gelängter Kette gefahren wird, das Kettenblattmaterial aufbördelt. Es bildet sich ein Kragen aus weggedrücktem Alu, an dem auch die Kette gerne hängen bleibt. Im harmlosen Fall macht es zusätzliche Geräusche, im schlimmsten Fall kann die Kette auch sich am Rahmen einklemmen oder abspringen.
Sparsame Menschen feilen/schleifen den Grad einfach weg, dann ist das Blatt noch für viele km brauchbar.

Konsequenterweise tauscht der sparsame Mensch lieber häufiger die Kette, weil dann die Kettenblätter und auch die Ritzel weniger verschleißen. Zweifach und erst recht Dreifach-Kettenblätter sind bei vielen Fahrrad-Herstellern auf dem Rückzug. Für eine gute Schaltbarkeit der Mehrfach-Kettenblätter dürfen sie nur wenig verschlissen sein. Das kommt aber beim Brompton nur bei Spezialumbauten vor. Die meisten Brommies haben nur ein Kettenblatt, was auch mit ausgeschliffenen Zähnen durchaus fahrtauglich ist. (s.o.)
 
Eine dumme Frage: Warum tauscht man die Kette samt Ritzel, aber das Kettenblatt nicht mit?
Beim Kettenblatt verteilt sich verschleißende Wirkung auf eine geringere Anzahl von Kontakten zwischen einzelnem Zahn und Kette als beim Ritzel, weswegen der Abtrag pro Zahn beim Kettenblatt in einem bestimmten Zeitraum geringer ist.
 
Eine ... Frage: Warum tauscht man die Kette samt Ritzel, aber das Kettenblatt nicht mit?
Neue Kette mit ausreichend altem Ritzel:
geht nicht, die Kette springt bei ausreichend Kraft. Abhilfe zur Not: Anfangs (über 100 km) mit weniger Drehmoment treten.

Neue Kette mit altem Kettenblatt:
geht, solange die Zähne nicht wie oben beschrieben verbreitert sind, "chain suck".

Bicycle Chain and Sprocket Engagement and Wear

https://www.sheldonbrown.com/brandt/chain-care.htm

... und das einzig richtige Verfahren zur Kettenpflege
The ShelBroCo Bicycle Chain Cleaning System
 
Danke für die umfassenden Erklärungen, sehr schön. Dann, denke ich, wäre es ziemlich sicher nicht nötig gewesen, das Blatt zu tauschen. Und ich bin etwas beruhigt, was den Verschleiß angeht bzw. meine Fähigkeit, ihn selber einschätzen zu können.
 
Bei meinem Rennrad und Gravel setze ich seit diesem Jahr auf einen gewachsten Antrieb ... sprich kein Öl sondern Wachs! Bin bis dato begeistert. Bleibt halt einfach wirklich sauberer alles, da fast keine Schmutzpartikel am Öl haften bleiben.

Gewachste Ketten bei einem Brompton würde doch auch mega Sinn machen, oder? :Brompton: Durch die kleinen Röllchen & Ritzel und den täglichen Stadtschmutz kann da ja schon viel haften bleiben. Es wird ja auch zu einem stetigen Reinigen des Antriebs/Fahrrads geraten.

Habe auf jeden Fall bei meinem neuen Brompton direkt mal die Kette entfettet (nicht in einem Bad wie man es eigtl. macht, sondern am Rad mit Sprühentfetter von Mucoff und einfach mehrfach durch ein Tuch gezogen). Dann trocknen lassen und schließlich Flüssigwachs von Silca auf jedes Kettenglied. Nach 5 Std. Trockenzeit eine weitere Runde und das dann über Nacht einziehen eintrocken lassen.

Klassisch wachst man eine Kette ja mittels Heißwachs, da hat mir jetzt aber doch Zeit und Muse gefehlt. Bisher bin ich mit dem Ergebnis aber zufrieden. Kette läuft und Antrieb ist sauber.

Gibt es noch mehr Kettenwachser hier? 😄
 
Ich war vor ein paar Jahren vom "Nähmaschinenöl" kommend mal "umgestiegen" auf Hanseline Kettenwachs - und fand es sehr dünnflüssig und wenig haltbar. Ich halte die Schmiereigenschaften von Wachs in den Röllchen und zw. den Laschen auch nicht für so haltbar, wie die von Öl. Deshalb bin ich seit längerer Zeit bei Getriebeöl (kein Hypoid!) gelandet und sehr zufrieden. Wichtig ist, die Kette vorher sauber zu wischen, Öl sparsam auftragen und einziehen lassen und anschl. nochmal sauber (und möglichst trocken) zu wischen.
Welches Wachs verwendest Du?
Ich hatte mal recherchiert nach einem Heißwachs/-fett, was die Kettenhersteller original auftragen - das wäre ideal, habe aber nichts gefunden. Gibt's da inzwischen was?
Kettenwichswachser :ROFLMAO:
 
Nutze das Silca Super Secret Chain Lube (Wax) zum nachwachsen. Das soll wohl ein echter Geheimtipp sein. Verwende ich seit ein paar Monaten am Gravel & Rennrad, funktioniert gut. Ist auch relativ dünflüssig, über Nacht eingezogen bildet sich aber eine schöne, weiche, dünne Wachsschicht. Damit wachse ich eben zum nach und/oder jetzt eben als Grundwachsschicht beim Brompton.

Klar, die heiß-gewachste Kette vom Renner ist nochmal besser. Ich berichte mal, wenn ich die ersten Wochen mit meinem Brommi damit hinter mir habe.
 
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