Weil dieser Thread sowieso früher oder später kommen wird kann man ihn genauso gut gleich starten.
Um das Thema ranken sich viele Glaubenssätze, Mythen und Legenden - es ist so glaubensbehaftet wie Helmdiskussionen und viele haben ihr persönliches Lieblingsvorgehen und ihr Lieblingsmittelchen. Beides muss nicht zwingend auf rationalen Kiterien fussen...
Versuchen wir also als erstes mal das Problem zu beschreiben:
Beim Fahrrad erfolgt die Kraftübertragung zwischen Fahrer und Rad in den meisten Fällen über eine Kette mit beweglichen Gliedern. Diese hat mechanische Reibung, die Kraft frisst. Diese Reibung möchte man möglichst gering halten, deswegen muss die Kette geschmiert werden. Nebenbei beugt die Schmierung sowohl dem mechanischen Verschleiss vor, dem jede Kette zwangläufig unterliegt, (erhöht also im Idealfall die Lebensdauer) und zweitens unschönen Geräuschen, die des Radlers Ohr nerven.
Soweit dürfte allgemeine Zustimmung herrschen. Bei dem "wie", "womit", "wie oft" scheiden sich dann die Geister und das sehr deutlich. Zunächst mal gibt es zwei religiöse Hauptströmungen: Die Öler (das sind die meisten) und die Wachser (das sind vergleichsweise wenige). Das Wachsen hat den unbestrittenen Vorteil des saubereren Antriebsstrangs (was auch des Radlers Hosenbein freut) und den ebenso unbestrittenen Nachteil, dass es zumindest initial (d.h. bis die neue Kette fahrfertig am Rad montiert ist) deutlich aufwändiger ist als Ölen (da die neue Kette zunächst entfettet werden muss und in flüssigem Wachs getränkt). Wie das dann im Betrieb aussieht und ob eine gewachste Kette länger hält und was dafür nötig ist ist wiederum Gegenstand erbitterter Diskussionen - gehört ergo nicht zu den Grundlagen. In der Folge beschäftigen wir uns also erst mal und vorwiegend mit dem Ölen.
Grundlegendes Basiswissen dabei: Eine gut gepflegte Kette sieht trocken aus. D.h. sie ist eben nicht ölig. Das dürfte beim einen oder anderen bereits für Verwirrung sorgen. Hat man doch als Kind gelernt, mit dem Fläschchen Nähmaschinenöl grosszügig die Kette zu tränken... Das verhindert zwar immerhin Rost an der Kette, ein sinnvolles Vorgehen ist es aber dennoch nicht. Warum, das kommt jetzt.
Wie gesagt soll die Kettenpflege sowohl Reibung als auch Verschleiss verhindern. Beides findet innen in der Kette statt, an einer Stelle, an die man nicht hinkommt: In den Röllchen. Das bedeutet deprimierenderweise, daß jegliche Kettenpflege aussen am sichtbaren Bereich der Kette nahezu vollkommen nutzlos ist (und kräftiges Ölen hauptsächlich zu schwarzen Hosenbeinen führt) und dass man dort, wo man evtl. pflegen müsste, gar nicht pflegen kann. Au weh.
Eine Kette (hier im Bild eine PC870 von SRAM, Foto von der SRAM Webseite) besteht aus einer Abfolge von inneren und äusseren Kettengliedern. Die Inneren Kettenglieder haben dabei zwischen den beiden Laschen jeweils eine Hülse, durch die der Bolzen, den die äusseren Kettenglieder jeweils haben, gesteckt wird.
Ein äusseres Kettenglied sieht im Prinzip so aus wie dieses klassische Kettenschloss (Foto: SRAM). Die Bolzen werden dabei durch je eine Hülse eines Innenglieds gesteckt und (im Gegensatz zu dem Kettenschloss im Bild) vernietet. Das ganze so lange, bis die typische Länge von 114 Gliedern für eine für den Handel konfektionierte Kette erreicht ist, fertig ist die Kette. Kettenschloss dazu, ab auf den Laster und dann hat der Bromptonaut das Ding zu hause liegen.
Es gibt Fahrradketten aus unterschiedlichen Materialien, in unterschiedlichen Breiten, in unterschiedlichen Oberflächenbehandlungen, gekröpft oder ungekröpft - das Konstruktionsprinzip ist aber immer gleich. Und damit ist auch klar, wo das Problem liegt: Die Reibung findet nur zu einem minimalen Teil vertikal zwischen den Kettenlaschen von Innen- und Aussenglied statt und fast ausschliesslich (horizontal) zwischen Stift des Aussenglieds und Hülse des Innenglieds. Also genau da, wo man nach dem Zusammenbau nicht hinkommt...
Im Prinzip handelt es sich hier um ein sehr primitives Gleit- bzw. Reiblager: Das Material reibt direkt aufeinander, Kugellager o.ä. sind nicht im Spiel. Schauen wir uns das mal im Detail an:
Medium 528 anzeigen
Medium 527 anzeigenIn der Draufsicht erkennt man gut Die Elemente Aussenlasche, Innenlasche und Röllchen
Medium 526 anzeigen
Medium 525 anzeigen
Medium 524 anzeigen
Die Reibung findet zwischen den beiden Partnern "Kragen" und "Stift" statt.
Medium 523 anzeigen
Die ganze Angelegenheit wird auf Zug belastet - tritt der Fahrer in die Pedale zieht zunächst das Röllchen, das am Kettenblatt einhakt via seines Partners am selben Kettenglied weiter hinten den Stift der dort verbundenen Aussenlasche stürmisch nach vorne und der, nicht faul, gibt das weiter an seinen Stiftkumpel am selben Kettenglied und der wiederum an die Kragen des Röllchens, in dem er selbst steckt und so weiter und sol weiter, bis man am Hinterrad und dem dortigen Ritzel angekommen ist. Das setzt dann das Hinterrad in Bewegung. Durch das Reiben von Stift und Kragen unter Last aufeinander wird gleichzeitig auch Material abgetragen - in minimalem Ausmaß, aber stetig. Und so entsteht der Kettenverschleiss: Der Bolzen und der Kragen des Innenglieds werden mit der Zeit durch die Reibung Stück für Stück dünner, das Spiel zwischen beiden grösser. Nicht so dünn, dass sie brechen würden, aber so, dass über die gesamte Länge sich die Kette fühlbar längt und irgendwann nicht mehr zu denn Abständen der Zähne von Ritzel und Kettenblatt passt.* Dann wird es Zeit für eine neue Kette. Gleichzeitig bekommt durch den Verschleiss die Kette seitwärts Spiel - eine neue Kette lässt sich sehr viel weniger seitlich "verbiegen" als eine deutlich gebrauchte. Wir das seitliche Spiel zu gross verliert die Kettenschaltung an Wirkung und es schaltet zusehends schlechter und irgendwann gar nicht mehr. Ebenfalls Zeit für eine neue Kette, u.U. obwohl die Länge noch ok wäre. Es wäre also gleich doppelt ausgesprochen wünschenswert, wenn da wenig Reibung und schon gar kein Rost im Spiel wäre in den Kettengliedern - spart Kraft und mindert den Verschleiss. Bloss: Wie kommt die Schmierung da rein?
Ab Werk ist das denkbar einfach: Die Ketten werden in warmes (und daher flüssiges) Fett getaucht. Das füllt dann sämtliche Hohlräume und ist nach dem Abkühlen zäh, verbleibt an Ort und Stelle und schmiert fröhlich vor sich hin zwischen Bolzen und Hülse.
Ergo: Eine neue Kette braucht man nicht zu ölen. Ich tue das auch nicht - die ersten ~1000km läuft die Kette bei mir so, wie sie aus der Packung kam. Geölt wird erst, wenn die Kette nach einiger Zeit anfängt zu "zwitschern" und damit stehen wir wieder vor unserem Problem: Wie Schmierung an die richtige Stelle bekommen?
In meiner Jugend (die schon sehr lange her ist) frönte ich beim Rennrad einer Methode, die im Prinzip auch heute noch funktionieren würde: Die Kette wird abgenommen, in Petroleum oder Diesel "ausgekocht" in einem alten Topf und so von altem Fett und Abrieb befreit und danach in einem weiteren alten Topf in erwärmtem Fett gebadet. Damals wusste ich das nicht, aber das ist im Prinzip das gleiche, was die Hersteller im Werk machen (nur dass die vorher nicht entfetten müssen). Das gleiche Vorgehen nutzt die eingangs erwähnte Kettenwachsfraktion, nur dass die statt Fett eben Wachs nehmen.
Wenn man nun nicht ausgesprochen fahrradverrückt ist ist das im Alltag etwas unpraktisch (weswegen Anhänger dieser Methode oft auch mehrere Ketten nutzen, die sie der Reihe nach durchtauschen und die Kocherei in größeren Zeitabständen im Batch mit mehreren Ketten auf einmal machen) und kann zu innerhaushaltlichen Zerwürfnissen mit den Lebenspartnern führen; zudem ist das mirakulixhafte Kochen von Ketten in Ingredienzien sicher nicht für jeden was. Wir brauchen also ein Vorgehen, das zivilisationskompatibler ist und hier kommt die Schmiermittelindustrie ins Spiel:
Die hat nun die so profane wie undankbare Aufgabe, ein Mittelchen zu ersinnen, das der technisch unbedarfte Laie von aussen auf die Kette aufträgt und das dann wie durch Wunderhand sich von alleine und in Windeseile nach innen zwischen die Röllchen und die Stifte begibt und dort sowohl möglichst lange bleibt wie auch möglichst prima schmiert. Das Zeug muss also gleichzeitig sehr flüssig sein wie auch zäh und ausserdem mit guten Schmiereigenschaften wie auch einem guten Orientierungssinn versehen. Die Quadratur des Kreises. Vielleicht sollte man einen lichtscheuen Schmierstoff erfinden, der sich gerne in dunkle Ecken verkriechen mag...
Die Lösung des Problems heisst "Lösungsmittel": Der Schmierstoff wird mit irgendwas angereichert, das es verflüssigt, das sich aber bei Sauerstoffkontakt zügig verflüchtigt. Damit hätte man das flüssig-zäh-Paradoxon gelöst. Für das Thema "soll schmieren" rührt nun jeder Hersteller sein eigenes Süppchen, Poly- und sonstige mere, die unter Scherkräften Wunderdinge vollbringen, eine Prise Teflon, vielleicht noch ein Duftstoff - der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Ehrlicherweise würde es Rindertalg, Walfischtran oder sonst was zweifellos genauso tun. Oder eben Wachs. (Juliane merkt an, dass das nicht stimmt: Einfache Fette und auch Wachs würden der Belastung von bis zu 1 Tonne nicht standhalten und deswegen wäre das nicht geeignet. Wie gesagt sagen andere anderes - die hohe Kunst der Religion
). Die mechanische Beanspruchung einer Fahrradkette ist jetzt nicht so übermässig gross im Vergleich zu anderen mechanischen Schmieranwendungen im Maschinenbedarf. Aber man braucht ja auch was für's Marketing, was man auf die Packung schreiben kann...
Wichtig ist nur: Das Zeug soll nicht ranzig werden und auch nicht zu zäh sein, weil dann klebt's fürchterlich und das zieht Dreck an (deswegen ist z.B. Sonnenblumenöl ungeeignet) und der Lösungsmittelanteil soll auch nicht hoch sein, sonst schmiert's nicht und schon gar nicht dauerhaft (deswegen ist WD40 für die Kettenpflege total untauglich). Schön wäre, wenn das Zeug Wasser draussen lässt (bzw. aktiv verdrängt) und Hosenbeine sauber. Der Hersteller mag es auch gerne, wenn es nicht ewig hält - deswegen verkauft man gerne Sprays - da geht gern 80% sonstwohin, aber nicht auf die Kette (und schon gar nicht an die relevanten Stellen da) und man kann wenig Inhalt für teures Geld in einer großen Dose verkaufen. In der Praxis sollte man Sprays eher vermeiden und Tropfflaschen sind die Gebindeform der Wahl: Nur damit lässt sich das Schmiermittel sowohl sparsam dosiert wie auch punktgenau appliziert an die richtigen Stellen auftragen. Sprays haben eher den Effekt einer Schrotflinte und neben der Verschwendung ist man hintether meist damit beschäftigt, die Stellen zu säubern, die man eigentlich gar nicht ölen wollte, wohingegen die, die man ölen wollte, nicht so viel abbekommen haben.
Für den Anwender viel wichtiger: Wie und wie oft soll man denn nun eigentlich ölen? Antwort: Sparsam und sorgsam auf Tropfen für Tropfen von oben auf den Spalt zwischen Röllchen und Stift zwischen Innen- und Aussenglied aufgetragen und einsickern lassen, Glied für Glied, mindestens eine Stunde einziehen lassen, danach übermässigen Schmierstoff mit einem Lappen abwischen (Kette langsam durch den Lappen kurbeln). Bei besonderer Detailliebe wiederholen. Eine Übung für Zen-Buddhisten. Das wäre das "wie". Wie man sich vorstellen kann bleibt das dennoch mehr Prinzip Hoffnung als mechanisch befriedigend...
Das "wie oft" hängt von den Einsatzbedingungen ab: Die ersten 1.000km braucht man idR schlicht gar nichts tun, höchstens eventuell überschüssiges klebriges Fett von der Kette abwischen vor der Montage - hierzu darf z.B. ein mit WD40 oder Waschbenzin präparierter Lappen zum Einsatz kommen. Danach alle vielleicht 300-500km ölen - eben wenn es zwitschert. Bei regnerischen Bedingungen ist das früher als im Trockenen. Die Lebensdauer einer Kette am Brompton beträgt übrigens typischerweise zwischen 3.000 - 5.000km, bei guten Bedingungen auch mehr.
Welches Schmiermittel man verwendet ist eine Glaubensfrage und auch eine des persönlichen Geschmacks. Tests von Schmiermitteln gibt es x-fach, so richtig eindeutig sind die Ergebnisse selten, manchmal sogar widersprüchlich. Allzu riesig sind die Unterschiede nicht, auch wenn die Industrie uns anderes weismachen möchte. Persönlich habe ich nach der Nähmaschinenölphase lange "Oil of Rohloff" genommen, bin aber mittlerweile davon weg - die Anwendung braucht mehr Geduld als ich habe und die ganze Angelegenheit ist recht zäh und von daher schmutzanziehend, vor allem wenn man schlampig arbeitet. Recht zufrieden war ich mit Finishline Dry Lube - ironischerweise taugt das bei Regen aber keinen Schuss Pulver (bei trockenen Bedingungen ist es super). Im Regal stehen noch diverse Mittelchen zum ausprobieren, allerdings habe ich die Lust verloren, seit ich vor einigen Jahren Rivolta S.K.D. 16N entdeckt habe, das meine Bedürfnisse prima bedient: Schnell und einfach appliziert, hält lange, macht keinen Ärger. Und das, obwohl es ein Spray ist, was ich eigentlich gar nicht mag. Abraten kann ich von Ballistol (obwohl man das sonst für nahezu alles verwenden kann). Ausser einer sehr schwarzen Hose (es scheint verlässlich sämtlichen vorhandneen Schmierstoff aus der Kette zu entsorgen) erreicht man damit wenig
Auch nicht empfehlen kann ich, auf ein und derselben Kette in kurzem Abstand unterschiedliche Schmierstoffe zu verwenden - die scheinen sich in ihren Eigenschaften dann eher zu bekriegen (wahrscheinlich kann man froh sein, wenn die Kette nicht explodiert), bei mir kam da auf jeden Fall nichts Gutes dabei raus.
Eingedenk der Ausführungen über die Schmierung zwischen Bolzen und Lasche innen in der Kette halte ich auch nicht viel von Kettenreinigern, egal ob als Spray oder als mechanisches Gerät zum Durchkurbeln: Was man damit erreicht ist die werksseitige Fettpackung innen in der Kette auszuwaschen - ohne dass man danach verlässlich neuen Schmierstoff reinbekäme. Das gleiche passiert, wenn man zu häufig und zu sehr ölt: Die Fettpackung wird ausgewaschen und man befindet sich am Beginn eines Teufelskreislaufs des ständigen nachölens. Viel hilft also nicht viel und wohl nicht ohne Grund liest man überdurchschnittlich häufig in Foren verzweifelte Posts über bescheidene Kettenstandzeiten von Leuten, die exzessiver Kettenpflege inclusive regelmässiger Reinigung mit allerlei Mittelchen frönen und glauben, damit was Gutes zu tun - und stattdessen das Gegenteil erreichen.
* da der Verschleiss ja nur in Laufrichtung der Kette stattfindet können Sparfüchse übrigens die Kette wenden und so aus einer toten Kette noch etwas zusätzliches Leben rausholen.
Edit hat ein paar Bilder hinzugefügt und die Sache mit den Kragen präzisiert.
Versuchen wir also als erstes mal das Problem zu beschreiben:
Beim Fahrrad erfolgt die Kraftübertragung zwischen Fahrer und Rad in den meisten Fällen über eine Kette mit beweglichen Gliedern. Diese hat mechanische Reibung, die Kraft frisst. Diese Reibung möchte man möglichst gering halten, deswegen muss die Kette geschmiert werden. Nebenbei beugt die Schmierung sowohl dem mechanischen Verschleiss vor, dem jede Kette zwangläufig unterliegt, (erhöht also im Idealfall die Lebensdauer) und zweitens unschönen Geräuschen, die des Radlers Ohr nerven.
Soweit dürfte allgemeine Zustimmung herrschen. Bei dem "wie", "womit", "wie oft" scheiden sich dann die Geister und das sehr deutlich. Zunächst mal gibt es zwei religiöse Hauptströmungen: Die Öler (das sind die meisten) und die Wachser (das sind vergleichsweise wenige). Das Wachsen hat den unbestrittenen Vorteil des saubereren Antriebsstrangs (was auch des Radlers Hosenbein freut) und den ebenso unbestrittenen Nachteil, dass es zumindest initial (d.h. bis die neue Kette fahrfertig am Rad montiert ist) deutlich aufwändiger ist als Ölen (da die neue Kette zunächst entfettet werden muss und in flüssigem Wachs getränkt). Wie das dann im Betrieb aussieht und ob eine gewachste Kette länger hält und was dafür nötig ist ist wiederum Gegenstand erbitterter Diskussionen - gehört ergo nicht zu den Grundlagen. In der Folge beschäftigen wir uns also erst mal und vorwiegend mit dem Ölen.
Grundlegendes Basiswissen dabei: Eine gut gepflegte Kette sieht trocken aus. D.h. sie ist eben nicht ölig. Das dürfte beim einen oder anderen bereits für Verwirrung sorgen. Hat man doch als Kind gelernt, mit dem Fläschchen Nähmaschinenöl grosszügig die Kette zu tränken... Das verhindert zwar immerhin Rost an der Kette, ein sinnvolles Vorgehen ist es aber dennoch nicht. Warum, das kommt jetzt.
Wie gesagt soll die Kettenpflege sowohl Reibung als auch Verschleiss verhindern. Beides findet innen in der Kette statt, an einer Stelle, an die man nicht hinkommt: In den Röllchen. Das bedeutet deprimierenderweise, daß jegliche Kettenpflege aussen am sichtbaren Bereich der Kette nahezu vollkommen nutzlos ist (und kräftiges Ölen hauptsächlich zu schwarzen Hosenbeinen führt) und dass man dort, wo man evtl. pflegen müsste, gar nicht pflegen kann. Au weh.
Eine Kette (hier im Bild eine PC870 von SRAM, Foto von der SRAM Webseite) besteht aus einer Abfolge von inneren und äusseren Kettengliedern. Die Inneren Kettenglieder haben dabei zwischen den beiden Laschen jeweils eine Hülse, durch die der Bolzen, den die äusseren Kettenglieder jeweils haben, gesteckt wird.

Ein äusseres Kettenglied sieht im Prinzip so aus wie dieses klassische Kettenschloss (Foto: SRAM). Die Bolzen werden dabei durch je eine Hülse eines Innenglieds gesteckt und (im Gegensatz zu dem Kettenschloss im Bild) vernietet. Das ganze so lange, bis die typische Länge von 114 Gliedern für eine für den Handel konfektionierte Kette erreicht ist, fertig ist die Kette. Kettenschloss dazu, ab auf den Laster und dann hat der Bromptonaut das Ding zu hause liegen.

Es gibt Fahrradketten aus unterschiedlichen Materialien, in unterschiedlichen Breiten, in unterschiedlichen Oberflächenbehandlungen, gekröpft oder ungekröpft - das Konstruktionsprinzip ist aber immer gleich. Und damit ist auch klar, wo das Problem liegt: Die Reibung findet nur zu einem minimalen Teil vertikal zwischen den Kettenlaschen von Innen- und Aussenglied statt und fast ausschliesslich (horizontal) zwischen Stift des Aussenglieds und Hülse des Innenglieds. Also genau da, wo man nach dem Zusammenbau nicht hinkommt...
Im Prinzip handelt es sich hier um ein sehr primitives Gleit- bzw. Reiblager: Das Material reibt direkt aufeinander, Kugellager o.ä. sind nicht im Spiel. Schauen wir uns das mal im Detail an:
Medium 528 anzeigen
Medium 527 anzeigenIn der Draufsicht erkennt man gut Die Elemente Aussenlasche, Innenlasche und Röllchen
Medium 526 anzeigen
Medium 525 anzeigen
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Die Reibung findet zwischen den beiden Partnern "Kragen" und "Stift" statt.
Medium 523 anzeigen
Die ganze Angelegenheit wird auf Zug belastet - tritt der Fahrer in die Pedale zieht zunächst das Röllchen, das am Kettenblatt einhakt via seines Partners am selben Kettenglied weiter hinten den Stift der dort verbundenen Aussenlasche stürmisch nach vorne und der, nicht faul, gibt das weiter an seinen Stiftkumpel am selben Kettenglied und der wiederum an die Kragen des Röllchens, in dem er selbst steckt und so weiter und sol weiter, bis man am Hinterrad und dem dortigen Ritzel angekommen ist. Das setzt dann das Hinterrad in Bewegung. Durch das Reiben von Stift und Kragen unter Last aufeinander wird gleichzeitig auch Material abgetragen - in minimalem Ausmaß, aber stetig. Und so entsteht der Kettenverschleiss: Der Bolzen und der Kragen des Innenglieds werden mit der Zeit durch die Reibung Stück für Stück dünner, das Spiel zwischen beiden grösser. Nicht so dünn, dass sie brechen würden, aber so, dass über die gesamte Länge sich die Kette fühlbar längt und irgendwann nicht mehr zu denn Abständen der Zähne von Ritzel und Kettenblatt passt.* Dann wird es Zeit für eine neue Kette. Gleichzeitig bekommt durch den Verschleiss die Kette seitwärts Spiel - eine neue Kette lässt sich sehr viel weniger seitlich "verbiegen" als eine deutlich gebrauchte. Wir das seitliche Spiel zu gross verliert die Kettenschaltung an Wirkung und es schaltet zusehends schlechter und irgendwann gar nicht mehr. Ebenfalls Zeit für eine neue Kette, u.U. obwohl die Länge noch ok wäre. Es wäre also gleich doppelt ausgesprochen wünschenswert, wenn da wenig Reibung und schon gar kein Rost im Spiel wäre in den Kettengliedern - spart Kraft und mindert den Verschleiss. Bloss: Wie kommt die Schmierung da rein?
Ab Werk ist das denkbar einfach: Die Ketten werden in warmes (und daher flüssiges) Fett getaucht. Das füllt dann sämtliche Hohlräume und ist nach dem Abkühlen zäh, verbleibt an Ort und Stelle und schmiert fröhlich vor sich hin zwischen Bolzen und Hülse.
Ergo: Eine neue Kette braucht man nicht zu ölen. Ich tue das auch nicht - die ersten ~1000km läuft die Kette bei mir so, wie sie aus der Packung kam. Geölt wird erst, wenn die Kette nach einiger Zeit anfängt zu "zwitschern" und damit stehen wir wieder vor unserem Problem: Wie Schmierung an die richtige Stelle bekommen?
In meiner Jugend (die schon sehr lange her ist) frönte ich beim Rennrad einer Methode, die im Prinzip auch heute noch funktionieren würde: Die Kette wird abgenommen, in Petroleum oder Diesel "ausgekocht" in einem alten Topf und so von altem Fett und Abrieb befreit und danach in einem weiteren alten Topf in erwärmtem Fett gebadet. Damals wusste ich das nicht, aber das ist im Prinzip das gleiche, was die Hersteller im Werk machen (nur dass die vorher nicht entfetten müssen). Das gleiche Vorgehen nutzt die eingangs erwähnte Kettenwachsfraktion, nur dass die statt Fett eben Wachs nehmen.
Wenn man nun nicht ausgesprochen fahrradverrückt ist ist das im Alltag etwas unpraktisch (weswegen Anhänger dieser Methode oft auch mehrere Ketten nutzen, die sie der Reihe nach durchtauschen und die Kocherei in größeren Zeitabständen im Batch mit mehreren Ketten auf einmal machen) und kann zu innerhaushaltlichen Zerwürfnissen mit den Lebenspartnern führen; zudem ist das mirakulixhafte Kochen von Ketten in Ingredienzien sicher nicht für jeden was. Wir brauchen also ein Vorgehen, das zivilisationskompatibler ist und hier kommt die Schmiermittelindustrie ins Spiel:
Die hat nun die so profane wie undankbare Aufgabe, ein Mittelchen zu ersinnen, das der technisch unbedarfte Laie von aussen auf die Kette aufträgt und das dann wie durch Wunderhand sich von alleine und in Windeseile nach innen zwischen die Röllchen und die Stifte begibt und dort sowohl möglichst lange bleibt wie auch möglichst prima schmiert. Das Zeug muss also gleichzeitig sehr flüssig sein wie auch zäh und ausserdem mit guten Schmiereigenschaften wie auch einem guten Orientierungssinn versehen. Die Quadratur des Kreises. Vielleicht sollte man einen lichtscheuen Schmierstoff erfinden, der sich gerne in dunkle Ecken verkriechen mag...
Die Lösung des Problems heisst "Lösungsmittel": Der Schmierstoff wird mit irgendwas angereichert, das es verflüssigt, das sich aber bei Sauerstoffkontakt zügig verflüchtigt. Damit hätte man das flüssig-zäh-Paradoxon gelöst. Für das Thema "soll schmieren" rührt nun jeder Hersteller sein eigenes Süppchen, Poly- und sonstige mere, die unter Scherkräften Wunderdinge vollbringen, eine Prise Teflon, vielleicht noch ein Duftstoff - der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Ehrlicherweise würde es Rindertalg, Walfischtran oder sonst was zweifellos genauso tun. Oder eben Wachs. (Juliane merkt an, dass das nicht stimmt: Einfache Fette und auch Wachs würden der Belastung von bis zu 1 Tonne nicht standhalten und deswegen wäre das nicht geeignet. Wie gesagt sagen andere anderes - die hohe Kunst der Religion
Wichtig ist nur: Das Zeug soll nicht ranzig werden und auch nicht zu zäh sein, weil dann klebt's fürchterlich und das zieht Dreck an (deswegen ist z.B. Sonnenblumenöl ungeeignet) und der Lösungsmittelanteil soll auch nicht hoch sein, sonst schmiert's nicht und schon gar nicht dauerhaft (deswegen ist WD40 für die Kettenpflege total untauglich). Schön wäre, wenn das Zeug Wasser draussen lässt (bzw. aktiv verdrängt) und Hosenbeine sauber. Der Hersteller mag es auch gerne, wenn es nicht ewig hält - deswegen verkauft man gerne Sprays - da geht gern 80% sonstwohin, aber nicht auf die Kette (und schon gar nicht an die relevanten Stellen da) und man kann wenig Inhalt für teures Geld in einer großen Dose verkaufen. In der Praxis sollte man Sprays eher vermeiden und Tropfflaschen sind die Gebindeform der Wahl: Nur damit lässt sich das Schmiermittel sowohl sparsam dosiert wie auch punktgenau appliziert an die richtigen Stellen auftragen. Sprays haben eher den Effekt einer Schrotflinte und neben der Verschwendung ist man hintether meist damit beschäftigt, die Stellen zu säubern, die man eigentlich gar nicht ölen wollte, wohingegen die, die man ölen wollte, nicht so viel abbekommen haben.
Für den Anwender viel wichtiger: Wie und wie oft soll man denn nun eigentlich ölen? Antwort: Sparsam und sorgsam auf Tropfen für Tropfen von oben auf den Spalt zwischen Röllchen und Stift zwischen Innen- und Aussenglied aufgetragen und einsickern lassen, Glied für Glied, mindestens eine Stunde einziehen lassen, danach übermässigen Schmierstoff mit einem Lappen abwischen (Kette langsam durch den Lappen kurbeln). Bei besonderer Detailliebe wiederholen. Eine Übung für Zen-Buddhisten. Das wäre das "wie". Wie man sich vorstellen kann bleibt das dennoch mehr Prinzip Hoffnung als mechanisch befriedigend...
Das "wie oft" hängt von den Einsatzbedingungen ab: Die ersten 1.000km braucht man idR schlicht gar nichts tun, höchstens eventuell überschüssiges klebriges Fett von der Kette abwischen vor der Montage - hierzu darf z.B. ein mit WD40 oder Waschbenzin präparierter Lappen zum Einsatz kommen. Danach alle vielleicht 300-500km ölen - eben wenn es zwitschert. Bei regnerischen Bedingungen ist das früher als im Trockenen. Die Lebensdauer einer Kette am Brompton beträgt übrigens typischerweise zwischen 3.000 - 5.000km, bei guten Bedingungen auch mehr.
Welches Schmiermittel man verwendet ist eine Glaubensfrage und auch eine des persönlichen Geschmacks. Tests von Schmiermitteln gibt es x-fach, so richtig eindeutig sind die Ergebnisse selten, manchmal sogar widersprüchlich. Allzu riesig sind die Unterschiede nicht, auch wenn die Industrie uns anderes weismachen möchte. Persönlich habe ich nach der Nähmaschinenölphase lange "Oil of Rohloff" genommen, bin aber mittlerweile davon weg - die Anwendung braucht mehr Geduld als ich habe und die ganze Angelegenheit ist recht zäh und von daher schmutzanziehend, vor allem wenn man schlampig arbeitet. Recht zufrieden war ich mit Finishline Dry Lube - ironischerweise taugt das bei Regen aber keinen Schuss Pulver (bei trockenen Bedingungen ist es super). Im Regal stehen noch diverse Mittelchen zum ausprobieren, allerdings habe ich die Lust verloren, seit ich vor einigen Jahren Rivolta S.K.D. 16N entdeckt habe, das meine Bedürfnisse prima bedient: Schnell und einfach appliziert, hält lange, macht keinen Ärger. Und das, obwohl es ein Spray ist, was ich eigentlich gar nicht mag. Abraten kann ich von Ballistol (obwohl man das sonst für nahezu alles verwenden kann). Ausser einer sehr schwarzen Hose (es scheint verlässlich sämtlichen vorhandneen Schmierstoff aus der Kette zu entsorgen) erreicht man damit wenig
Auch nicht empfehlen kann ich, auf ein und derselben Kette in kurzem Abstand unterschiedliche Schmierstoffe zu verwenden - die scheinen sich in ihren Eigenschaften dann eher zu bekriegen (wahrscheinlich kann man froh sein, wenn die Kette nicht explodiert), bei mir kam da auf jeden Fall nichts Gutes dabei raus.
Eingedenk der Ausführungen über die Schmierung zwischen Bolzen und Lasche innen in der Kette halte ich auch nicht viel von Kettenreinigern, egal ob als Spray oder als mechanisches Gerät zum Durchkurbeln: Was man damit erreicht ist die werksseitige Fettpackung innen in der Kette auszuwaschen - ohne dass man danach verlässlich neuen Schmierstoff reinbekäme. Das gleiche passiert, wenn man zu häufig und zu sehr ölt: Die Fettpackung wird ausgewaschen und man befindet sich am Beginn eines Teufelskreislaufs des ständigen nachölens. Viel hilft also nicht viel und wohl nicht ohne Grund liest man überdurchschnittlich häufig in Foren verzweifelte Posts über bescheidene Kettenstandzeiten von Leuten, die exzessiver Kettenpflege inclusive regelmässiger Reinigung mit allerlei Mittelchen frönen und glauben, damit was Gutes zu tun - und stattdessen das Gegenteil erreichen.
* da der Verschleiss ja nur in Laufrichtung der Kette stattfindet können Sparfüchse übrigens die Kette wenden und so aus einer toten Kette noch etwas zusätzliches Leben rausholen.
Edit hat ein paar Bilder hinzugefügt und die Sache mit den Kragen präzisiert.
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