Die Jacke ist inzwischen angekommen und ich habe sie mal grob in Augenschein genommen. Kein Testbericht sondern ein Ersteindruck. Mixed Emotions. Einige Dinge wurden verbessert, andere nicht oder verschlechtert. Insgesamt wirkt die Jacke deutlich schlichter konstruiert und damit erheblich billiger zu fertigen als der Vorgänger. Den exorbitanten Listenpreis sehe ich nicht als gerechtfertigt an.
Da sich bei den Barbour Taschen der 2022er Kollektion herausgestellt hat, daß diese in China gefertigt werden war ich bei der Jacke mißtrauisch und habe nach einer Angabe des Fertigungslandes gesucht. Fündig geworden bin ich in der Innentasche: "Made in Moldowa" steht da ganz verschämt und winzig ganz hinten am Ende auf dem hintersten eines ganzen Bündels an Waschlabeln. Um die Schrift zu lesen brauchte ich tatsächlich eine Lupe... Nicht China, nicht Brittannien - Republik Moldau also. Soviel zur britischen Traditionsmarke...
Im Detail:
Grösse und Schnitt:
Wie schon bei der
Merton aus der letzen Barbour Kollektion habe ich auch beim Bromdale Jacket XL bestellt, obwohl ich normalerweise L trage. Es zeigt sich: XL ist von der Armlänge her auf jeden Fall angemessen bis nötig. Von der Weite her ist die Bromdale deutlich weiter als die Merton, da hätte L dicke gereicht. Der Schnitt der Jacke ist also für sehr stämmige Personen mit eher kurzen Armen ausgelegt - etwas seltsam bei der Zielgruppe Radfahrer. Wobei "stämmig" vielleicht etwas beschönigend ist: Im Brust- und Schulterbereich passt die Jacke eigentlich ganz ok (obwohl ich alles andere als ein Bodybuilder bin), im Bauchbereich könnte sie hingegen problemlos mindestens ca. 10cm (!) enger sein. Ist also wohl eher für Männer mit sehr deutlichem Bierbauch geschnitten...
Als Fatal erweist sich, dass Barbour die Zugschnüre zur Weitenanpassung eingespart hat - die hat sogar ein oller amerikanischer Armeeparka und die Merton hatte zwei: Einen auf Tallienhöhe und einen unten. Die Bromdale hat gar keinen. Das recht weite Stück bleibt also weit.
Weiter gehen die Sparmaßnahmen an anderen Stellen:
Wie schon auf den Bildern zu erkennen gibt es keine Brusttaschen. Das ist optisch natürlich gefälliger und praktisch überlebbar, auch wenn sie sich an der Merton als sehr nützlich erwiesen haben. Die Abwesenheit spart ein bisschen Stoff, vier Druckknöpfe und vor allem relevant Arbeitszeit.
Neu gibt es dafür eine kleine Innentasche (die Merton hatte keine) - erfahrungsgemäss ist sowas nur begrenzt nützlich.
Ebenfalls entfallen: Die Unterarmreissverschlüsse. Die gab es an der Merton und sie haben sich als sehr praktisch zur Temperaturregulierung erwiesen und sorgen dafür, dass man die aufgestaute Hitze wieder los wird und zudem die Jacke an die Jahreszeiten anpassen kann, so dass die Merton fast eine Ganzjahresjacke ist. Die Bromdale offeriert das nicht und auch nicht die Belüftungsreissverschlüsse seitlich am Rücken, die die Merton ergänzend hat.
Die Bromdale hat nur den Hauptreissverschluss vorne und der ist nicht, wie bei Barbour-Jacken seit Dekaden üblich, messingfarben sondern schlichtes Silber. In der Summe hat Barbour hier erneut reichlich gespart - Reissverschlüsse sind teuer und sie einzunähen ebenfalls.
Belüftung gibt es dennoch unerwartet reichlich und das ist gar nicht mal so gut:
Hinter den beiden Überlappungen, die vorne oberhalb der Taschen sowie auf dem Rücken zu sehen sind verbirgt sich jeweils ein riesiger, über die gesamte Breite gehender Belüftungsschlitz. Innen ist Netfutter, verschliessbar ist er nicht. Das könnte also eine ausgesprochen zugige Veranstaltung werden in der Jacke. Der Reissverschluss hinten am Ärmel hingegen, der auf dem Foto (von der Barbour Produktwebseite zur Jacke) zu sehen ist glänzt durch Abwesenheit.
Der Druck-Knopf, der in der Mitte des Rückenriegels zu sehen ist, erfüllt keine sinnvolle Funktion: Zwar kann man ihn öffnen, das erfüllt aber keinen Zweck. Anzunehmen ist, dass auch er eine Folge von Kosteneinsparung ist: Ohne irgendeine Art von Befestigung würde der riesige Rückenflap bei Wind hochklappen. Ein Druckknopf ist schnell eingebaut, eine Befestigung per Naht wäre demgegenüber deutlich aufwändiger und teurer.
Der Stoff selbst kommt mir etwas dicker vor als bei der Merton, auch ist die Oberfläche anders: Die Merton ist eine klassische Barbour Wachsjacke, wie man sie seit Dekaden kennt, die im Neuzustand fast glänzt und nach Nutzung schnell etwas speckig aussieht durch das Wachs. Die Bromdale hingegen ist matt, vom Wachsauftrag ist nichts zu sehen. Ist aber mit 100% Baumwolle angegeben auf der Webseite, also zumindest keine Kunstfaser.
Der dickere Stoff ist erst mal eine gute Nachricht - meine Merton ist mittlerweile ein ziemlicher Fetzen, voller Löcher und Risse an allen möglichen und unmöglichen Stellen, was zweifellos mit der Intensität der Nutzung zu tun hat, aber eben auch mit dem Material.
Damit sind wir im Bereich der Verbesserungen, denn es gibt auch einiges, das an der Bromdale besser scheint als an der Merton. Am auffälligsten ist die Kapuze. Die macht einen guten Eindruck, ist einstellbar und wie gut sie sich auf dem Rad macht wird sich zeigen. Zudem ist sie via Druckknöpfen abnehmbar - ob das relevant ist wird die Praxis zeigen. In jedem Fall ist eine Kapuze eine gute Sache für eine Radjacke, der Carradice Poncho kann dadurch wohl noch häufiger in der Tasche bleiben.
Einer meiner Kritikpunkte an der Merton war die Schulternaht: Vorder- und Rückteil der Jacke wurden oben an der Schulter zusammengenäht (wie bei den meisten Jacken), die dadurch entstehende Naht neigt aber mit der Zeit zur Undichtigkeit, insbesondere an der rechten Schulter, wenn man häufiger das Brompton darauf geschultert hat.
Bei der Bromdale ist diese Naht entfallen und Barbour hat das Kunststück geschafft, durch Produktionskosteneinsparung einen Vorteil für den Nutzer zu erzielen, wenn auch vermutlich unabsichtlich: Der Ärmel wird bei der Bromley direkt am Kragen angenäht, hinten geht die Ärmelnaht vom Kragen schräg zum äusseren Rand der Rückenklappe nach unten (auf dem Rücken-Foto oben bei genauem Hinsehen zu erkennen), dann unter dem Arm durch und vorne im schrägen Winkel hoch zum Kragen. Diese Konstruktion spart Produktionskosten in Form von Arbeitszeit, zumal die Naht wesentlich einfacher auszuführen ist handwerklich. Aber für den Bromptonauten immerhin mit segensreichen Auswirkungen für die Dichtigkeit (hoffentlich).
Ein zweiter Kritikpunkt betraf den Kragen der Merton. Der ist aufstellbar und mit einer einstellbaren Schnalle und einem schmalen Stoffriegel verschliessbar - das läuft aber bestenfalls unter "niedlich" ein nennenswerter Effekt entsteht dadurch nicht, weil der Kragen sehr klein ist und zudem der verbleibende Halsausschnitt sehr gross. Sozusagen ein nutzloses Gimmick. Der Kragen an der Bromdale ist deutlich größer und höher; verschlossen wird er nun mit einem recht grossen, nicht einstellbaren Stoffriegel (eher Segel) mit einem Druckknopf. Zudem ist trotz XL der Halsausschnitt etwas kleiner und halbwegs passend, obwohl ich keinen Stiernacken habe). Die Person, auf deren Körpermaße hin die Jacke geschneidert wurde würde ich wirklich gerne mal sehen.
Die Merton hat einen winzigen Reflektor, der nur bei ausgeklapptem Kragen sichtbar ist und nach wenigen Jahren zu bröseln anfing (wohl auch, weil er am Kragen permanent geknickt und verdreht wurde. Die Bromdale hat am Rücken wie auf der Kapuze deutlich grössere Reflektoren, die zumindest im Neuzustand recht vertrauenswürdig aussehen. Auch hier also eine Verbesserung.
Das orangene Innenfutter wiederum finde ich nicht sehr überzeugend. Im Neuzustand sieht es zwar fetzig aus, meine Erfahrung mit dem gelben Innenfutter der alten S-, C- und T-Bags wie auch mit einer organenen Bergsteigerjacke von Mammut lässt vermuten, dass das recht schnell schmuddelig werden könnte bis dürfte - und waschen darf man die Jacke nicht...
Die Ärmelabschlüsse waren bei der Merton Raffbündchen aus dem Ärmelstoff, die - wie zu erwarten - nach einiger Zeit kleine Löcher an den Stosskanten bekamen aufgrund des dünnen Stoffs. Die Bromdale hat gerade Ärmel und eingenäht Strickbündchen. Das dürfte länger halten (und ist eine weitere Stelle, wo Arbeitszeit gespart wurde und der Nutzer dennoch einen Vorteil hat).
Seitlich weist die Bromdale rechts und links je eine Dehnfalte auf, die mit einem Druckknopf fixiert ist. Damit könnte man auf dem Rad der gebeugten Haltung Tribut zollen und sie zu diesem Behufe unten weiter stellen. Da die Weite aber ohnehin zeltartig ist ist das nicht nötig. Tröstlich immerhin, dass für den biologisch ausgesprochen unwahrscheinlichen Fall, dass ich schwanger würde, ich dank der Dehnfalte die Jacke wohl bis in den neunten Monat tragen könnte.
Soweit erst mal der Ersteindruck des Barbour Bromdale Jacket. Wie gesagt: Mixed emotions. Es wurden erkennbar (zumindest wenn man sich ein wenig mit Textilproduktion auskennt) Abkürzungen genommen um Produktionskosten und -aufwände zu sparen. Die Fahrradeignung hat dadurch ebenso gelitten wie die universelle Einsetzbarkeit. Der Schnitt ist nach wie vor etwas seltsam. Die Jacke wird als "British Icon" beworben und wird in Wirklichkeit in einem europäischen Billiglohnland gefertigt. Und der Preis ist gegenüber dem schon ziemlich sportlichen Vorgänger noch mal exorbitant gestiegen. Den Listenpreis kann man wohl getrost als Abzocke und Unverschämtheit bezeichnen.
Ob ich die Jacke behalte oder - ganz gegen meine Gewohnheit - zurückschicke, weiss ich noch nicht. Einerseits ist sie durchaus hübsch und vor allem braucht die zerfetzte Merton dringend einen Nachfolger. Andererseits finde ich sie auf den ersten Eindruck an einigen Stellen nicht überzeugend und auch für den stark reduzierten Preis, den ich bezahlt habe, ziemlich teuer.